Computer statt Urnen

An den Juniorwahlen beteiligten sich im Land Bremen 26 Schulen. Wahlberechtigt waren alle SchülerInnen ab 14 Jahren, Staatsangehörigkeit egal. Auch Sechzehnjährige wählen taktisch.

„Die Juniorwahl hat zu einer massiven Politisierung der Elternhäuser geführt.“„Dass die Schüler Stimmensplitting anwenden, zeigt politische Reife .“

Wenn es nach den 321 abgegebenen Stimmen am Schulzentrum Rübekamp ginge, dann gäbe es für die nächsten vier Jahre eine grüne Bundesregierung, die sich vielleicht die PDS als kleineren Koalitionspartner an die Seite holen würde. Oder es gäbe eine „große Koalition“ mit der SPD, die zweitstärkste Kraft bei den Rübekamps wurde.

Dieses Ergebnis brachte die erste Juniorwahl zu Tage, die in der Woche vor der „richtigen“ Bundestagswahl an 26 Schulen im Land Bremen über die Bühne ging. Insgesamt 5.310 SchülerInnen konnten „ihren Bundestag“ im Rahmen der Juniorwahl bestimmen. Per Computer und einer nur einmal zu verwendenden Kennung votierten sie zwischen Montag und Donnerstag ganz ohne Stimmzettel und Urnen. Die SPD wurde an den meisten Schulen stärkste Partei, der Schill-Spitzenkandidat Detlev Schütte bekam bei Rübekamps immerhin 15 Erststimmen und lag damit vor dem CDU-Spitzenmann Michael Teiser, der nur zwölf Erststimmen schaffte.

Diese Ergebnisse überraschen Herbert Wulfekuhl nicht. Er ist Leiter der Landeszentrale für politische Bildung und Mitveranstalter des Projekts Juniorwahl. Wulfekuhl erklärt sich die hohen Stimmzahlen für die Grünen mit „jugendlichem Überschwang“. In den Stimmen für NPD, Schill und Reps sieht der Leiter der Landeszentrale einen bewussten „Tabubruch“ der Jugendlichen. In seiner Wahlergebnisanalsye stellt er fest, dass sich in der Stimmabgabe der Jugendlichen die „Wählermilieus“ der Erwachsenen wiederspiegeln. Im Klartext: In früheren DVU-Hochburgen sind heute auch bei den 14- bis 18-Jährigen Schill, Republikaner und NPD relativ stark. Etwa am Schulzentrum in den Sandwehen gaben 13 SchülerInnen ihre Erst- und 15 ihre Zweitstimmen der NPD, bei 159 abgegebenen Stimmen.

Dass nicht an allen Schulen alle Jugendlichen mitmachen konnten hatte organisatorische Gründe: Die Finanzierung sei sehr lange unklar gewesen, sagt Wulfekuhl. Deshalb konnte die konkrete Vorbereitung an den interessierten Schulen erst nach den Sommerferien starten. Mitmachen durften alle Jugendlichen ab 14 Jahren, egal mit welcher Staatsangehörigkeit. „Wir wollten niemanden ausgrenzen“, kommentiert der Landeszentralenchef.

Lehrer Wolfram Stein vom Schulzentrum Walliser Straße zieht seine Schlüsse aus dem Experiment „Juniorwahl“: Schon 15-bis 17-jährige Jugendliche hätten „Stimmensplitting“ praktiziert, die Erststimme der SPD, die Zweitstimme den Grünen gegeben. Aus diesem taktischen Wählen liest Stein „politische Reife“ ab. Er engagiert sich klar für das Wahlrecht ab sechzehn.

Herbert Wulfekuhl hofft, dass bei der zweiten Juniorwahl, die parallel zur Bürgerschaftswahl im Mai stattfinden soll, noch mehr Schulen dabei sein können: „Dafür haben wir mehr Vorbereitungszeit.“ Die Finanzierung muss auch dann neu ausgehandelt werden. Immerhin kostet der Aufwand pro Schule rund 500 Euro.

Glaubt man Wulfekuhl und Stein, wäre das allerdings eine Augabe, die sich lohnt: Eine wissenschaftliche Begleituntersuchung zu vergangenen Juniorwahlen in Baden-Württemberg habe gezeigt, dass durch diese Form des angewandten Politikunterrichts eine massive Politisierung der Elternhäuser und damit eine Erhöhung der tatsächlichen Wahlbeteligung einhergehe.

Ulrike Bendrat