Hört die Signale

Seit gestern läuft der Bürgerschaftswahlkampf. Die Bundestagswahl setzt die Option Rot-Grün nachdrücklich auf die Tagesordnung

Bremen kehrt zur Normalität zurück. Zu seiner sehr eigenen Normalität, die eine breite Mehrheit links der Mitte vorsieht. Die SPD hat ihr Bombenergebnis von 1998 zwar verfehlt, steht aber besser da als alle anderen SPD-Landesverbände und stabilisiert sich in der Nähe der absoluten Mehrheit. Die Grünen setzen sich in ihrer alten Hochburg wieder an die Spitze der Bewegung, haben sich mit 15 Prozent beeindruckend zurückgemeldet, nachdem sie bei der letzten Bürgerschaftswahl ein Drittel ihrer Stimmen eingebüßt hatten. Auffallend ist dabei, dass sie nicht nur ihre alte Klientel optimal mobilisiert, sondern neue Wählerschichten erschlossen haben: Quer durch alle Stadtteile und Altersgruppen hat die Partei zugelegt, sogar im traditionell schwierigen Bremerhaven. „Wir sind nicht mehr die Partei der gebildeten Mittelschicht“, sagt eine strahlende Siegerin Marieluise Beck.

Sicher, der Joschka-Effekt. „Viele SPD-Wähler haben diesmal für den Außenminister gestimmt“, gibt Parteichef Klaus Möhle zu. Auf die Bürgerschaftswahlen im Mai lässt sich das Ergebnis nicht einfach übertragen. 1999 bekamen die Grünen in Bremen ein Fünftel weniger Zustimmung als bei der Bundestagswahl 1998. Dennoch, das Wahlergebnis strahlt eine deutliche Stimmung für Rot-Grün aus. Der politische Instinkttäter Henning Scherf hat das blitzschnell in seine Wahlkampfstrategie eingebaut: Obwohl überzeugter Großkoalitionär, will auch er nun nicht mehr nur dafür kämpfen.

Im landespolitischen Alltag zeigen sich immer wieder große Gemeinsamkeiten zwischen SPD und Grünen – zumindest in den Bereichen Bau, Inneres, Bildung, Medien und Umbau des „Konzerns Bremen“ größere als innerhalb der großen Koalition. Das Personal für eine Zusammenarbeit wäre durchaus vorhanden: Die zuständigen SPD-Fachpolitiker im Parlament favorisieren rot-grün, ebenso wie weite Teile der Fraktion. Und insbesondere die hoch emotionalisierte Bildungspolitik – zwischen CDU und SPD unter Aktenzeichen ungelöst abgelegt – ließe sich für einen rot-grünen Richtungswahlkampf nutzen. Entscheidend ist, ob sich die Partei vom Übervater Scherf emanzipiert – und wer den Aufstand wagt.

Die große Koalition, ursprünglich als Medizin für den großzügig interpretierten „demokratischen Notfall“ verabreicht, bröckelt auch am anderen Ende: Die Bremer CDU musste erneut eine herbe Niederlage einstecken. Schon das Ergebnis von 1998 war desaströs: 25,4 Prozent der Zweitstimmen. Nur ein Mal, 1953, waren die Konservativen schlechter – bis vorgestern. Mit 24,5 Prozent stellten sie ihren absoluten Minusrekord auf. „1999 haben wir nach der schlechtesten Bundestagswahl das beste Bürgerschaftsergebnis eingefahren“, macht man sich im CDU-Haus Am Wall Mut. Aber das politische Koordinatensystem hat sich verändert: Nach dem Niedergang von AfB und FDP konnte die CDU quasi das Alleinvertretungsrecht für das bürgerliche Lager reklamieren. Inzwischen hat sich die FDP im Windschatten des Guidomobils von der Post-Piepmatz-Pleite leicht erholt, könnte eventuell in die Bürgerschaft einziehen. Außerdem hat das bürgerliche Lager an der anderen Seite Zuwachs bekommen: Aus dem Stand und mit rudimentären Parteistrukturen hat die Schill-Partei in Bremen 1,7 Prozent geholt – keine Hamburger Verhältnisse, aber mehr als doppelt so viele wie im Bundesschnitt. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass die Rechtspopulisten in Bremen ihren nächsten Meilenstein anpeilen werden. In Bremerhaven gibt es ein beträchtliches rechtsradikales Wählerpotenzial zu erben und nirgends ist der Einzug in einen Landtag so billig zu haben wie im kleinsten Bundesland – das hat schon die PDS mit ihrer Brückenkopf-Strategie begriffen.

Michael Teiser hat schon mal vorgemacht, wie man die Erosion nicht verhindert: Seine Last-Minute-Plakataufpepper „Zuwanderung stoppen“ haben nur die eigene Wahlkampfzentrale aus den Schuhen gehauen. Direktkandidat Teiser indes verlor trotzdem fast fünf Prozent seiner Erststimmen, landete bei 24,3. Sage niemand, das liege an der Neueinteilung der Wahlkreise, die dem Raubein nun auch Findorff bescherte: Selbst in seiner Heimatstadt Bremerhaven verlor Teiser zweieinhalb Prozent. Man kann ahnen, wer die Abwehrschlacht gegen Schill schlagen muss: Innensenator Kuno Böse wird einen gnadenlosen Law-and-order-Wahlkampf führen – und dem Noch-Koalitionspartner damit weitere Kröten servieren. Jan Kahlcke

Detaillierte Stadt- und Ortsteil- Ergebnisse auf Seite 28