Klangkörper im Durchgangsraum

Die Wiege von Postrock, in die selbst Freakwater und Bobby Conn passen, das Vorbild von Kitty Yo, die Mannschaft als Star: Das amerikanische Indie-Label Thrill Jockey feiert mit seinen Bands zehnjähriges Jubiläum im Loft und Metropol

Es ist das Bestreben eines jeden neuen und unabhängig von der Industrie agierenden Labels, sich einen Namen über die eigenen Acts hinaus zu machen und eine spezielle Corporate Identity auszubilden. Die Mannschaft ist der Star, das Label und seine Marke wichtiger als die einzelnen Bands, die sich trotzdem wohl fühlen. So kaufte man sich früher Platten von SST, Homestead oder City Slang, ohne sie vorher anzuhören, das Label-Signet reichte.

Auch das in Chicago ansässige Label Thrill Jockey gehört zu dieser Sorte Labels. Gegründet wurde es 1993, in einer Zeit, da sich Indierock und Alternative Rock am Anfang einer langen Phase der Stagnation befanden. Im Zuge von Nirvanas Erfolg mit „Nevermind“ kauften die Majorfirmen wahllos Labels und Bands ein, Hauptsache Gitarre, Grunge, Beton, Holzfällen und irgendwie Rock. Nicht viel später wirkte die gesamte Szene mehr als ausgepumpt und ohne Ideen, verkatert und geradezu ausgelöscht. Auch die New Yorker Atlantic-Records-Angestellte Bettina Richards war daran nicht ganz unschuldig. Sie entdeckte für ihre Firma zum Beispiel die Lemonheads oder die Meat Puppets, konnte sich aber bald selbst eines gewissen Alternative-Rock-Überdrusses nicht erwehren. Also gründete sie, nachdem sie erstes Material von Bands wie den in Chicago ansässigen Tortoise und The Sea & Cake gehört hatte, ihren eigenen Laden: Thrill Jockey.

Gerade mit Tortoise begann dann eine neue Zeitrechnung im Indie-Land: die des Postrocks. Kein Sex, kein Watten, kein Schweiß, keine Soli, kein Gesang, keine Billigesser, so hieß die Devise. Die Songs gerade von Tortoise setzten in ihrer Dramaturgie einerseits auf Wiederholung und Monotonie, andererseits hatten sie genug Freiraum für Daddeleien und Improvisationen. Klangkörper im Durchgangsraum, Songs im Spannungsfeld von Ambient, Jazz, Easy Listening und auch Dub. Im Gefolge von Tortoise und den noch luftigeren The Sea & Cake landeten gleichfalls viele Freunde und Bekannte dieser Bands bei Richards’ Label, Seitenprojekte wie Isotope 217 oder das Chicago Underground Trio.

Trotz dieser großen Verdienste um die Rettung von Indie ist man bei Thrill Jockey von Beginn an bestrebt gewesen, nicht als reines Postrock- oder Chicago-Label zu gelten. Es lässt sich bis heute auf keine Soundfarbe festlegen, und, nicht unwichtig, es stand auch in der Zeit, in der Tortoise richtig groß waren, Mitte, Ende der Neunziger, nie in deren Schatten (was zum Beispiel bei Nirvana und SupPop der Fall war: Jedes neue SubPop-Album wurde an Nirvana gemessen, was dem Label bald das Genick brach.)

So stießen im Lauf der Jahre auch Country- und Folk-Acts zu Thrill Jockey, Bands wie Freakwater und MusikerInnen wie Sue Garner oder Howe Gelb. Ein zweiter, eher traditionell orientierter Strang, gewiss. Doch Bands und Musiker wie Bobby Conn, Nobukazu Takemura, Eleventh Dream Day oder 8 Bold Souls lassen einen schnell feststellen, dass hier nie alles zueinander passt, aber immer gut ist. Lauter Individualisten, lauter Musiker, die am Rande des Geschehens ihr Glück zu machen wissen. Am Ende eines langen Tages und vieler Alben bürgt immer der Name Thrill Jockey dafür, in keinster Weise irgendwelchen Müll zu bekommen. Ja!

GERRIT BARTELS

Heute Abend ab 18 Uhr im Loft und Metropol am Nollendorfplatz, Schöneberg. Es treten auf: Tortoise, The Sea & The Cake, Trans Am, Howe Gelb, Bobby Conn, Radian, Freakwater und mehr!