Sieger im linken Vakuum

Berliner Grüne fühlen sich durch das Wahlergebnis in ihrer Oppositionsstrategie bestätigt. Rot-rote Koalition sei nun deutlich instabiler, meint Fraktionschef Wieland. Reservistenrolle lehnt er aber ab

von STEFAN ALBERTI

Schulter an Schulter kamen die grünen Spitzenleute die Treppe des Abgeordnetenhauses herunter, wie früher mal die SPD-Troika in einem Werbefilmchen. Links und rechts der wuchtige Aufgang, den Blick gerade ins Foyer gerichtet – die Berliner Wahlsieger geben Audienz. Rot ist dabei der Teppich unter den Grünen. Ein Symbol für eine zukünftige Koalition? Rot-Rot bis 2006 ist für den Fraktionschef hörbar zweifelhafter als bislang. Nur andienen will er sich nicht. „Wir sind nicht die Reservebank von Klaus Wowereit“, sagt Wolfgang Wieland, „wir spielen gegen ihn.“

Alle haben sie am Sonntag verloren: SPD und vor allem PDS nach Prozentpunkten, CDU und FDP gemessen an ihren Erwartungen. Alle außer den Grünen. Von einem Traumergebnis spricht Landeschef Till Heyer-Stuffer. 14,5 Prozent sind ihr bestes Bundestagswahlresultat in Berlin überhaupt. Es ist das mit Abstand beste Ergebnis aller grünen Landesverbände, es ist in Berlin Platz drei deutlich vor der PDS. Aus den erhofften drei Sitzen im Bundestag wurden vier, neben Wahlkreissieger Christian Ströbele, Spitzenkandidatin Renate Künast und Werner Schulz hält sich auch Franziska Eichstädt-Bohlig im Parlament.

Ausgezahlt hat sich die Wahlkampfstrategie, sich an der PDS zu reiben, sie als Verliererin in der rot-roten Koalition hinzustellen. Wieland gibt ihr wenig Chancen, sich wieder zu berappeln: „Eine PDS, die nur noch in den Plattenbaubezirken den Solzialismus überleben lässt, ist nicht mehr attraktiv.“ Das Vakuum, dass sie hinterlasse, würden die Grünen ausfüllen.

Co-Landeschefin Regina Michalik sieht die Berliner Grünen nach ihren Erfolgen auch im Ostteil der Stadt als Motor eines dieses Mal noch ausgebliebenen Aufschwung in den östlichen Bundesländern. 10,5 Prozent haben die Grünen in Ostberlin geholt, gemessen am Ergebnis von 1998 dort noch stärker hinzugewonnen als im Westen.

Durch den Erfolg fühlen sich die Grünen in ihrer Strategie bestätigt, die sie in ihrer ein wenig belächelten alternativen Regierungserklärung im Januar festlegten: konstruktive Opposition zu sein, sich nicht aufreiben zu lassen zwischen einem rot-roten Bündnis, in dessen Koalitionsvertrag zu 90 Prozent ihre Ideen stehen, und einem fast viermal so großen bürgerlichen Block.

Das klappte lange weit weniger als gedacht. Nach außen erschienen die Grünen mehr und mehr als Anhängsel der CDU, ob bei der umstrittenen Risikoabschirmung, bei der Auswahl des neuen Polizeipräsidenten oder bei der Verfassungsklage gegen den Haushalt. Höhepunkt: gemeinsame Presserklärungen mit dem Grünen-Logo neben den Kürzeln von CDU und FDP.

Es gab sie ja, die vielen kleineren Punkte, in denen die Grünen sich von den bürgerlichen Parteien abgrenzten, ob in Fragen der inneren Sicherheit oder in der Verkehrspolitik. Doch bei den in den Medien nach außen transportierten Themen brauchte es die Abwahl des von ihnen seit langem kritisierten Generalstaatsanwalts Hansjürgen Karge, um sich deutlich im anderen Lager zu zeigen und mit Rot-Rot zu stimmen.

Mit dem Rückenwind des Rekordergebnisses soll es keinen Grund geben, diesen bisherigen Kurs zu ändern. „Wir werden jetzt nur noch schneller vorwärts kommen“, sagte Wieland. Das rot-rote Bündniss hält er für deutlich instabiler als vor der Wahl, beuteln würden die anstehenden Spardiskussionen den Senat. Bislang waren die Grünen davon ausgegangen, dass das SPD-PDS-Bündnis bis 2006 hält. Jetzt sieht das nicht allein Wieland deutlich offener. „Man muss mal sehen, wie das jetzt mit Rot-Rot weitergeht“, sagte Fraktionsvize Volker Ratzmann noch am Wahlabend.

mehr ströbele SEITE 4