Noch ein Nazivergleich

Auf Däubler-Gmelins Spuren: CDU-Chef Stölzl zieht Parallele zwischen rot-grünem Wahlsieg und dem Propagandaerfolg der Nazis. SPD, PDS und Grüne fordern Rücktritt als Vizechef des Parlaments

von STEFAN ALBERTI

Christoph Stölzl, Chef der Berliner CDU und Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, hat den rot-grünen Erfolg bei der Bundestagswahl mit dem Aufstieg der Nazis in der Weimarer Republik und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs verglichen. CDU-Bundeschefin Angela Merkel und Fraktionschef Frank Steffel distanzierten sich von seiner Äußerung. SPD, PDS und Grüne verlangten gar seinen Rücktritt. Stölzl selbst sieht eine „böswillige Interpretation“. Mit seinem Zitat soll sich heute der Ältestenrat des Parlaments beschäftigen.

Stölzl hatte in einem am Montag im Inforadio ausgestrahlten Interview die Fortsetzung der rot-grünen Koalition als „Sieg der Unvernunft über die Vernunft“ bezeichnet und hinzugefügt: „Die Deutschen haben immer Unglück gehabt, wenn sie sich irrationalen Stimmungen hingaben oder sich mit Propagandaphrasen in Gang bringen ließen. Das war 1914 so, das große Unglück der Erdrutschwahlen von 1931/1932 war so, und sie waren immer im Glück, wenn sie nüchtern waren.“ Der gelernte Historiker fügte hinzu, er hoffe sehr, dass sich die Nüchternheit wieder durchsetze.

Der Fraktionschef der SPD, Michael Müller, forderte darauf wie sein Kollege von der PDS, Stefan Liebich, Stölzls sofortigen Rücktritt als Parlamentsvize und legte der CDU nahe, sich von ihm als Landeschef zu trennen. Wer solche Vergleiche ziehe, habe seinen politischen Verstand verloren, sagte er. Laut Landesverfassung müsste Stölzl zurücktreten, eine Abwahl ist nicht möglich. Nach Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) habe erneut ein Politiker voll danebengegriffen, sagte Grünen-Fraktionschef Wolfgang Wieland. Wenn Stölzl sich nicht entschuldige, müsse er zurücktreten. Däubler-Gmelin, die US-Präsident George Bush und Adolf Hitler in Zusammenhang gebracht hatte, verkündete gestern ihren Abschied aus dem Kabinett.

Stölzl sieht sich missverstanden: „Den mir unterstellten Vergleich habe ich nicht gezogen. Jede andere Behauptung ist eine böswillige Interpretation. Sollte ich mich wirklich missverständlich ausgedrückt haben, dann tut es mir selbstverständlich leid.“ SPD und Grüne mochten darin keine Entschuldigung erkennen.

Die Generalsekretärin der Berliner CDU, Verena Butalikakis, sprach von einer „unzulässigen Verkürzung“ und „aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten“. Der CDU-Landesvorstand stellte sich gestern hinter Stölzl. In diesem Gremium sollte es dem Vernehmen nach ursprünglich um eine andere Personalie gehen: die Zukunft von Fraktionschef Steffel. Gegner hatten zuletzt nur wegen der nötigen Geschlossenheit für die Bundestagswahl nicht offen seine Ablösung gefordert. Als möglicher Nachfolger wurde immer wieder Exfinanzsenator Peter Kurth genannt. Stattdessen übte Steffel gestern selbst Kritik, nannte Stölzls Äußerung „historisch abwegig“ und ist dabei auf einer Linie mit Parteichefin Merkel. Ihr Urteil: „Völlig inakzeptabel“.