Nirwana im Badischen

Auf der Suche nach der verlorenen Stille: Bad Solbach – der ruhigste Platz der Erde

Es ist still in Bad Solbach, sehr still. Es gibt Orte, an denen kann man eine Stecknadel fallen oder das Gras wachsen hören, da sagen sich Hase und Igel gute Nacht. In Bad Solbach ist es ruhiger. Das Schweigen im Walde, die Stille des Wassers, die Ruhe vor dem Sturm. Alles noch zu laut für Bad Solbach. Kenner nennen den idyllischen Ort am Oberrhein daher nur „Das Nirwana im Badischen.“

„Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln spürest du kaum einen Hauch“, dichtete Johann Wolfgang von Goethe einst. Er hat Bad Solbach nicht gekannt. Dann hätte er gewusst: Das ist zu viel Bewegung für diesen ruhigen Ort. „Es war, als hätt’ der Himmel die Erde still geküsst“, empfand und fühlte Joseph von Eichendorff einst in seiner Mondnacht. Hätte er die leisen Plätze der Welt noch besser gesucht, er hätte gefunden: Das ist zu viel Erregung für Bad Solbach. „Einsamer nie als im August“, klagte Gottfried Benn später, ein Tag in Bad Solbach hätte genügt, und er hätte gewusst, was Einsamkeit wirklich ist. „Wir machen durch bis morgen früh und singen bumms fallera!“, trällerte schließlich die Stimmungskanone Tony Marshall – Wir wissen: Alles, nur das nicht in Bad Solbach!

Was hat man Bad Solbach in all den vergangenen Jahrhunderten an Ereignissen andichten wollen, um zu zeigen, dass auch hier der Bär steppt, die Kuh vom Eis fliegt, der Hund in der Pfanne verrückt wird: den Westfälischen Frieden, die Unabhängigkeitserklärung von 1776, das Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger, die Potsdamer Konferenz, die Hochzeit von Oliver Kahn mit Herta Däubler-Gmelin.

Inzwischen ist mehr als klar gestellt: Der Westfälische Friede wurde in Münster geschlossen, die englischen Kolonien erklärten sich in Philadelphia für unabhängig, das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand geschah in Sarajevo, zur wichtigsten Nachkriegskonferenz traf man sich in der Nähe von Berlin. Und Oliver Kahns Angetraute heißt nicht Herta, sondern Simone, und das gerade getraute Ehepaar Kahn feierte seine Hochzeit mit deftig-bayerischer Hausmannskost beim Edelitaliener in München-Schwabing (Haxenbruch in Rindergelee, Büxenschinken mit Presswurst, Galle im Wuttopf; anschließend gemütliches Beisammensein mit Disco und Torwandschießen.).

Nein, in Bad Solbach ist in all den Jahren und Jahrhunderten seines Bestehens nichts passiert. Bad Solbach war ruhig, bleibt ruhig und wird auch immer ruhig bleiben. Es geschieht so wenig, dass hier nicht einmal Zeit entsteht. Manch einer berichtet, dass es in Bad Solbach früher einmal eine kleine Kneipe „Zur Einkehr“ gegeben habe und einen Wirt mit der ungekünstelten Offenheit eines Franz Kafka, der unverfälschten Herzlichkeit eines Arthur Schopenhauer und dem ausgelassen-fröhlichen Lachen von Buster Keaton, der seinen Ausschank, da die Gäste ausblieben, wegen zu geringen Umsatzes schließen musste. Aber das stimmt nicht. Eine solche Kneipe hat es hier nie gegeben. Das war in Sky Dumont, einer kleinen Nachbargemeinde von Bad Solbach.

Vor 25 Jahren hat die Unesco Bad Solbach offiziell zum ruhigsten Platz der Erde erklärt. Erst heute hat man davon erfahren, weil in Bad Solbach keiner darüber spricht. Das sagt alles über Bad Solbach. Der Rest ist Solbach.

JAN ULLRICH