Gute Laune und Bescheidenheit

Während der Kanzler die rot-grüne Koalition zur Formsache erklärt, streben die Grünen eine Neudefinition der Einflusszonen in der Bundesregierung an

Schröder feiert seinen knappen Erfolg und verliert sich im Großen und GanzenDie Grünen haben Angst, die SPD könnte ihnen ihren Siegübel nehmen

von JENS KÖNIG
, HANNES KOCH
und KATHARINA KOUFEN

Sage bloß keiner, dass es in der Politik nicht darauf ankommt, ob man sich schon mal über den Weg gelaufen ist. Das macht es leichter, komplizierte Probleme unkonventionell zu lösen. Wann die Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen denn nun eigentlich beginnen würden, wird der alte und neue Kanzler am Montagmittag auf der Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus gefragt. „Och“, antwortet der große Herr und Meister mit gespieltem Desinteresse an solchen Kleinigkeiten, „darüber haben wir im Parteipräsidium jetzt gar nicht geredet.“ Als sich die Journalisten gerade ein bisschen zu wundern beginnen, schiebt Gerhard Schröder mit noch größerer Lässigkeit hinterher, dass das Telefon glücklicherweise schon erfunden sei und die Spitzenleute beider Parteien sich ja auch ab und zu sähen. „Ich glaube nicht“, fasst Schröder zusammen, „dass es da riesige Komplikationen gibt.“

An diesem Tag, der auf die Nacht folgte, in der die Union für ein paar Stunden schon gewonnen und die SPD bereits verloren hatte, an diesem Tag nach der „Legende“, wie Schröder es nennt, wollen sich die Sozialdemokraten und ihr Spitzenmann höchstpersönlich erst einmal freuen. Dazu gehört durchaus, das wohlige Gefühl zu verbreiten, der nächste rot-grüne Koalitionsvertrag sei eine reine Formsache. Ein kleines Verhandlungsteam haben die Sozialdemokraten bereits zusammengestellt (Schröder, Müntefering, Thierse, Eichel, Wieczorek-Zeul), das sollte sich noch am Montagabend mit der grünen Verhandlungsdelegation (Fischer, Roth, Kuhn, Künast, Trittin, Müller, Schlauch) zu einem ersten Sondierungsgespräch treffen.

Das war’s dann aber auch schon mit den konkreten Auskünften des Kanzlers und SPD-Vorsitzenden zur neuen Koalition. Ob die Grünen vier Ministerien bekommen, ob ein Europa-Ministerium geschaffen wird, wer als Justizminister Nachfolger von Herta Däubler-Gmelin wird – Gerhard Schröder freut sich über die putzigen Fragen der Journalisten und gibt ihnen zu verstehen, dass er nicht die Absicht habe, auch nur eine einzige davon zu beantworten. Er sonnt sich an diesem Tag lieber in seinem Erfolg und verliert sich ansonsten im Großen und Ganzen. Er bekennt, dass er eine rot-grüne Vision habe („Das wissen Sie doch!“) und er gönnt den Grünen sogar ihre zwei Prozent Zugewinn („Das darf sich allerdings nicht wiederholen“).

Aber Schröder merkt an diesem für ihn so entspannten Tag auch, dass das Thema Irak und die zerstörten deutsch-amerikanischen Beziehungen seine Regierung ab sofort nicht mehr loslassen werden. Ja, die Beziehungen zu den USA seien intakt, sagt der Kanzler. Nein, er werde jetzt nicht mehr über die Frage diskutieren, wer wann mit wem telefoniert habe. Ja, er habe Verständnis dafür, dass es über die Äußerung von Däubler-Gmelin in Amerika Irritationen gebe. Nein, das heiße nicht, dass er seine Irak-Position ändere. Er sehe darin aber auch kein Problem. „Wer hat denn unter Einsatz seiner politischen Existenz für uneingeschränkte Solidarität mit den USA gesorgt?“, wird Schröder für einen Moment ganz leidenschaftlich. „Das war doch nicht irgendwer. Das war ich.“ Diese Leistung bleibe, das werde auch in Amerika so verstanden.

Die Grünen dagegen haben sich an diesem Montagmittag im Berliner Tempodrom, nur ein paar hundert Meter von der SPD-Parteizentrale entfernt, überhaupt keine Emotionen geleistet. Ganz so, als hätten sie Angst davor, die SPD könnte ihnen jeden nach oben hochgezogenen Mundwinkel angesichts ihres grandiosen Wahlergebnisses übel nehmen. „In der Niederlage sind wir hart im Nehmen“, sagte Joschka Fischer stellvertretend für den großen Gewinner des Wahlabend. „Aber ein Sieg ist für uns kein Anlass für Muskelspiele. Wir bleiben bescheiden.“

Dass die Grünen sich als Reformmotor dieser Koalition verstehen, war noch das Äußerste an Selbstbewusstsein, was Parteichef Fritz Kuhn zu erkennen gab. Der kleine Koalitionspartner wollte seine Kraft die SPD nicht zu sehr spüren lassen. Zumindest nicht öffentlich. Zumindest nicht zwölf Stunden nach dem dramatischen Wahlausgang.

Hinter den Kulissen ist für die meisten grünen Politiker jedoch klar, dass sich das zugunsten der Grünen veränderte Kräfteverhältnis in einer Neudefinition der Einflusszonen innerhalb der zukünftigen Bundesregierung niederschlagen wird. Dazu gehöre auch, „über den Neuzuschnitt von Ministerien zu verhandeln“, sagt die grüne Bundestagsabgeordnete Steffi Lemke.

Eine Diskussion der Ökopartei rankt sich um die Stärkung des Umweltministeriums von Jürgen Trittin. Die grünen Umwelt- und Energiepolitiker liebäugeln mit einem Ausbau des Hauses zum Ministerium für Umwelt, Klimaschutz und Ökotechnologie. Entsprechende Referate oder gleich ganze Abteilungen aus anderen Ministerien könnten ausgegliedert und bei Trittin angedockt werden: die finanzielle Förderung der erneuerbaren Energie aus dem Wirtschaftsministerium Werner Müllers, die Altbausanierung und Unterstützung neuer Antriebssysteme im Verkehr aus dem Bauministerium von Kurt Bodewig (SPD).

Die Verkehrspolitik jedoch ganz aus dem Ministerium für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen herauszunehmen, „ist illusionär“, wie die Grünen wohl wissen. Schließlich ist das SPD-Ministerium, dem derzeit der Rheinländer Kurt Bodewig vorsteht, das Ressort mit dem zweitgrößten Etat. Das Wirtschaftsministerium sehen manche Grüne als „Verschiebemasse“. Wenn die Energiepolitik an Trittin geht und die wirtschafts- und finanzpolitische Grundsatzabteilung wie bisher in Hans Eichels Finanzministerium bleibt, könnte die Rest-Wirtschaft mit Arbeit und Soziales zum neuen Reformministerium verschmelzen.

„Aber die Situation ist noch völlig offen“, meint eine grüne Spitzenfrau. Vielleicht beansprucht die Umweltpartei auch ein zusätzliches Ministerium. Die grüne Fraktionschefin Kerstin Müller könnte etwa eine gute Justizministerin abgeben.