Die Grünen sind bei Teenies wieder in

Der Erstwähler, das unberechenbare Wesen, swingt wieder: Im Westen mag er die Grünen wieder, im Osten flüchtet er zu den Sozialdemokraten

Erstwählerrutsch im Osten: SPD plus 18, PDS und Rechte minus 9 Punkte

von CHRISTIAN FÜLLER

Die Kids, so das (Vor-)Urteil sind heute pragmatisch, eigennützig, auf Äußerlichkeiten achtend. Egotaktiker nennen die Autoren der aktuellen Shell-Jugendstudie diese Generation wenig freundlich. Und nun das: Die Jungwähler entschieden sich am Sonntag idealistisch, aufs Gemeinwohl achtend, ihrer inneren Überzeugung folgend. Kurz: Sie wählten grün.

Das ist ein paradoxes Ergebnis der „Juniorwahlen“, bei denen, wie berichtet, fast 60.000 SchülerInnen zwischen 13 und 19 Jahren online Bundestagswahl spielten. Rot-Grün näherte sich bei den Kids mit 57 Prozent der Zweidrittelmehrheit an – 14 Prozent der Voten gingen an die Grünen.

Professionelle Jugend- und Meinungsforscher üben zwar handwerkliche Kritik an der Schülerwahl, die der Berliner Verein Kumulus mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung organisierte; sie sei keinesfalls repräsentativ, schimpft etwa der Konstanzer Studentenforscher Tino Bargel; es fehlten wichtige Strukturinformationen wie die besuchte Schulform, rümpft Thomas Gensicke von Infratest Sozialforschung die Nase. Dennoch entdecken die Sozialforscher eine Pointe an der Juniorwahl: Es gibt Indizien dafür, dass die Grünen ihr Image als „Ein-Generationen-Partei“ ablegen könnten.

Der Stimmenanteil der Grünen war nicht allein bei der Juniorwahl überproportional hoch. Den Trend zurück zu den guten grünen Sympathiewerten vergangener Jahre bestätigen auch die Wahlforscher. Bei der Forschungsgruppe Wahlen errangen die Grünen unter den 18- bis 29-Jährigen immerhin 10 Prozent. Infratest-Dimap ortete bei den Erstwählern gar 12 Prozent Grünstimmen, im Westen noch einen Punkt mehr. Ausgerechnet in der Altersgruppe, für die die Umweltpartei zuletzt so attraktiv wie ein abgelatschter Birkenstockschuh war, sind die Grünen also wieder wer.

„Mich überrascht, dass die Grünen bei den Jungwählern 10 Prozent geschafft haben“, sagt Thomas Gensicke. Der Mann hat an der Shell-Jugendstudie mitgeschrieben, in der ein tiefer grüner Fall dokumentiert ist. 1981 lagen die Grünen bei 20 Prozent unter den 15- bis 24-Jährigen, wurden später immer wieder stärkste Partei – ehe sie Mitte der 90er-Jahre abzuschmieren begannen: 22, 11, zuletzt 9 Prozent. Die Parteigänger der CDU, die 2002 mit 26 Prozent bei den Jugendlichen zur stärksten Partei avancierten, begannen zu spotten: Aus den Spontis würden Berufsjugendliche, die Grünen seien out – out – out.

Warum sind sie nun zurück? Sind sie es überhaupt? Der Göttinger Parteienforscher Franz Walter hält die Grünenwähler für ein so launiges Völkchen, dass das Wahlergebnis keinen Trend bedeute, sondern singulär sei. Aber das gilt wohl eher für die älteren Grünwähler. Denn Jugendliche wählen nicht taktisch. Das sagt Tino Bargel, der alle drei Jahre den Meinungsquerschnitt unter den deutschen Studierenden erhebt. Bargel hat einen beständigen Abwärtstrend der Ökopartei bei Studierenden beobachtet. Die Partei verschwand im toten Winkel zweier Wählergruppen: Überzeugten grünen Studis waren sie nicht grün genug – für bravere Unizöglinge lebten sie immer noch zu wild und gefährlich.

Nun aber scheint eine Wiederannäherung stattzufinden. Die Grünen sind im Habitus bürgerlicher geworden – dreiteilige Anzüge, Kostüme, keine Sonnenblumen mehr auf der Regierungsbank – und sind so auch für Jugendliche, die auf Sekundärtugenden stehen, wieder nahbar geworden. „Die Grünen passen bei denen erstmals ins Weltbild“, meint Thomas Gensicke: „Nicht zerstritten, nicht fundamentalistisch, mit einer charismatischen Leitfigur an der Spitze.“

Das heißt: Auch Jugendliche, für die in der Shell-Studie „Gesetz und Ordnung“, „Sicherheit“ oder „Fleiß und Ehrgeiz“ wichtige Tugenden sind, machen ein Kreuzchen nun bei der Partei, die vor kurzem noch Bezugsscheine für Flugreisen politikfähig machen wollte. In allgemeiner Form sind ihre Themen ohnehin wieder wichtig geworden. Die Flut hat den Klimawandel auf die Agenda gesetzt. Schröder hat, wenn schon nicht den Pazifismus, dann doch eine „Nein zum Krieg“-Haltung. Frieden, da nicken sämtliche Meinungsforscher übereinstimmend, kommt bei Jugendlichen prima an.

Um abzuschätzen, welchen Erdrutsch diese Themenkombination unter den Ostjugendlichen ausgelöst hat, muss man nur genau in die Erstwählertabelle schauen: Für die SPD entschieden sich 45 Prozent der Erstwähler – das sind 18 Prozentpunkte mehr als 1998. Gleichzeitig sackten Rechtsparteien und PDS im Osten um jeweils 9 Punkte weg. Die PDS lag mit ihrem sexy Erstwählerslogan „Poppen, Kiffen, PDS-Wählen“ irgendwie voll daneben.

Für die Stimmenzähler von Kumulus ist ihr Wahlergebnis übrigens keine Überraschung. Bei der Juniorwahl, so Mitarbeiter Sascha Müller, gehe es nicht ums Kreuzchenmachen, sondern um die davor geschaltete Meinungsbildung. Die Kids der 240 Schulen, die an der Juniorwahl teilnahmen, hätten sich ausführlich mit allen möglichen Spielarten von Wählen, Demokratie und Partizipation auseinander gesetzt. „Der emotionale Antrieb wird bei uns ersetzt durch eine bewusste Enscheidung“, sagt Müller. Bei Juniorwahlen, das haben Begleitforscher herausgefunden, sinkt der Anteil der Unentschiedenen von 22 auf 7 Prozent. Oder, wie Müller formuliert: „Am Ende unserer Unterrichtseinheit Demokratie steht keine langweilige Klassenarbeit, sondern eine eigene junge Meinung.“