Ministerin für Unaussprechliches

Clare Short ist die exponierteste Linke in der britischen Regierung – und zugleich aus Überzeugung politisch inkorrekt

Sie hat es als erstes Regierungsmitglied laut gesagt. „Wir können nicht noch einen Golfkrieg haben“, meinte Clare Short am Wochenende in einem TV-Interview. „Das Volk des Irak kann nicht noch mal leiden. Sie haben zu viel gelitten. Es wäre falsch.“ Kein Regierungsmitglied hatte sich zuvor gegen einen Irakkrieg Großbritanniens ausgesprochen. So richtig überraschend war das nicht, denn die britische Entwicklungsministerin Short ist für ihre scharfe Zunge bekannt. Ihre Kollegin Estelle Morris, Bildungsministerin, sprach für viele, als sie sagte: „Sie hat ihre Ansichten sehr deutlich gemacht und sicherlich werden wir in den nächsten Tagen noch mehr davon hören.“

Laut zu sagen, was andere möglicherweise nicht einmal denken, ist eine Spezialität der Entwicklungshilfeministerin. Die gestandene Labour-Linke aus Englands zweitgrößter Stadt Birmingham, Tochter einer irischen Familie, hat sich seit ihrem Einzug ins Parlament 1983 als Abgeordnete für den Wahlkreis Ladywood auf kontroverse Themen spezialisiert. Ihr erster Gesetzentwurf, ein Antrag auf ein Verbot von Nacktfotos in britischen Zeitungen, scheiterte, machte sie aber berühmt und berüchtigt. Das Boulevardblatt News Of The World reagierte mit einem Foto der Ministerin als Mädchen im Nachthemd. Sie beschwerte sich vor dem britischen Presserat – und obsiegte.

Seither ist Clare Short das bei Labour seltene Phänomen einer linken, populären Frau. Diesen Vorteil spielt sie voll aus: Während andere Labour-Politiker froh sind, einen Posten zu kriegen, leistete sich Short zweimal den Luxus, aus dem Schattenkabinett zurückzutreten – einmal wegen neuer Nordirland-Antiterrorgesetze 1988 und einmal wegen Labours Unterstützung des Golfkrieges 1991. Aber sie überlebte auch, als viele andere Linke nach dem Aufstieg Tony Blairs nicht mehr salonfähig waren. In Blairs Schattenkabinett war sie erst für Verkehr zuständig und dann für Entwicklungspolitik – ein Posten, den sie nach Labours Amtsantritt 1997 auch im richtigen Kabinett bekam.

Kaum jemand hätte damals darauf gewettet, dass sie das bis heute geblieben ist. Sie hat vieles ausgeprochen, was viele Labour-Politiker denken, aber aus Angst vor den Wählern nicht sagen: Drogenlegalisierung, höhere Steuern für Reiche, Unterstützung für streikende Gewerkschafter, Förderung des fairen Kaffeehandels. Sie hat es abgelehnt, Exportförderung für britische Waren als Teil der Entwicklungszusammenarbeit zu betreiben, wenngleich sie es anscheinend nicht verhindern konnte. Rücksicht nimmt sie allerdings genauso wenig auf die Überzeugungen ihrer linken Kollegen. Bill Clinton sei „unfähig“ als Präsident, sagte sie einmal; die UNO sei ein Laden der „anachronistischen Rhetorik und des kurzfristigen Taktierens einer vergangenen Ära“. Als sie auf der Karibikinsel Montserrat Opfer eines Vulkanausbruchs besuchte, die sich über mangelnde Hilfe beschwerten, antwortete sie schlagfertig: „Als Nächstes verlangen sie vergoldete Elefanten.“

Immer wieder wurde spekuliert, dass sie entweder aus Ärger über Blairs Politik zurücktritt – oder dass Blair sie aus Ärger über ihre Politik entlässt. Die beiden Spekulationen halten sich so genau die Waage, dass keine von ihnen eintritt. Stattdessen wird Clare Short sogar als künftige Vizepremierministerin gehandelt.

DOMINIC JOHNSON