Selbstbewusst im Dissens

Während US-Präsident Bush noch schmollt, basteln Fischer und Struck an der Beilegung des transatlantischen Konflikts

„Wir werden sehr hart arbeiten, um die Beziehungen zu verbessern“

aus Washington MICHAEL STRECK

Der Vorgang ist in den deutsch-amerikanischen Beziehungen einmalig. Drei Tage nach dem Wahlsieg der rot-grünen Bundesregierung hat das Weiße Haus immer noch nicht offiziell gratuliert. Es herrscht Funkstille zwischen George W. Bush und Gerhard Schröder.

Bush, der nie ein Musterschüler in Diplomatie war, scheint von dem angeblichen Hitlervergleich der zurückgetretenen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin derart verletzt, dass er selbst protokollarische Standardregeln missachtet. „Zutiefst verstört“ sei er, was übersetzt so viel wie wutschäumend heißen mag. Bush erwähnte am Montag die Wahl in Deutschland mit keinem Wort, schoss aber während eines Wahlkampfauftritts eine deutliche Warnung Richtung Berlin. „Ich habe der Welt klar gemacht, dass man entweder für uns ist oder für den Feind.“ Wiederum übersetzt für Schröder heißt das: Wer einen Krieg gegen Saddam Hussein ablehnt, ist letztlich auf dessen Seite. So einfach ist und war die Welt für Bush. Sachliche Kritik, dass es zum Beispiel bislang keinen Plan für die Zeit nach einem Regimewechsel in Bagdad gebe, dringt einfach nicht durch.

Bush erwartet offenbar den Gang Schröders nach Canossa. Der flog gestern Abend jedoch erst mal zu Toni Blair, um sich der Achse London–Berlin zu vergewissern. Nicht auszuschließen ist, dass der Kanzler durch diplomatische und rhetorische Verrenkungen einen Militärschlag gegen den Irak mit UN-Mandat absegnen könnte. Im Fall der Auslieferung des Topterroristen Ramsi Binalshibh hatte Berlin bereits eingelenkt und keinen Einwand gegen dessen Auslieferung aus Pakistan an die USA erhoben, obwohl ein deutscher Haftbefehl gegen ihn vorlag. Zudem hat Verteidigungsminister Struck gestern auf der Nato-Tagung in Warschau angeboten, ab 2003 gemeinsam mit den Niederlanden die Führung der internationalen Schutztruppe (Isaf) in Afghanistan zu übernehmen. Struck selbst gab sich in Warschau selbstbewusst und meinte: „Ich denke, dass die amerikanische Regierung akzeptieren wird, dass wir eine neu gewählte Bundesregierung haben, mit der man in den nächsten vier Jahren gut zusammenarbeiten muss.“

Auch Außenminister Joschka Fischer wies in der New York Times die Kritik des Antiamerikanismus im deutschen Wahlkampf zurück. „Wir werden sehr hart arbeiten, um die Beziehungen zu verbessern.“ Fischer wäre auch der letzte, dem man eine amerikafeindliche Haltung nachsagen könnte. Sein ausgesprochen freundschaftliches Verhältnis zu Powell scheint intakt: Beide telefonierten am Montag, und Powell gratulierte Fischer zu dessen Wiederwahl. Ihnen wird es wohl maßgeblich obliegen, die atmosphärische Wiederaufbauarbeit zwischen Berlin und Washington zu leisten.

Am schlechten Klima sind auch die US-Meinungsmacher nicht unschuldig. Schröders Wahlsieg sei vor allem mit antiamerikanischer Stimmungsmache erkauft worden, lautet deren Tenor. Fairerweise muss gesagt werden, dass sich Autoren und Leserbriefschreiber auch lobend über die hartnäckige Haltung der Bundesregierung äußern. Durch den radikalen Kurs in Berlin sei die Bush-Regierung bewegt worden, mehr Rücksicht auf ihre Partner zu nehmen und noch einmal die Kooperation mit den Vereinten Nationen zu suchen.

Außerdem bemerken Deutschland-Experten, dass die Beziehungen zueinander nicht erst seit dem Irakstreit frostig sind. Bush müsse sich fragen, warum die Antikriegsbotschaft auf so fruchtbaren Boden fiel in einem Land, das traditionell gute Beziehungen zu den USA pflegt. Deutschland, das Musterland des Multilateralismus, musste über den überheblichen Ton und die oftmals als ignorant empfundene Position der Bush-Regierung zu internationalen Vereinbarungen frustriert sein. Schließlich hat die aggressive Rhetorik im Weißen Haus in der Irakdebatte, eigentliches Ziel sei ohnehin nicht Abrüstung, sondern ein Sturz Saddam Husseins, die Entfremdung beschleunigt. Deutschland sei zudem, wie die Washington Post feststellt, mit seiner sturen Antikriegshaltung in Europa längst nicht so isoliert, wie in den USA gern dargestellt.

„Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den USA sind im Kern solide“, bemerkte denn auch der Demokrat Joseph Biden, Vorsitzender im Außenpolitikausschuss des Senats. Vielleicht fühlt er sich manchmal den Deutschen näher als seinem Präsidenten, wenn dieser, auf eine kritische Rede seines alten Rivalen Al Gore zur US-Irakpolitik angesprochen, giftet: „Die Meinung des Mannes ist irrelevant.“