Sehnsucht im großen Maßstab

Kleine Glücksmomente, aus einer gewissen Schönheit der Verzweiflung gewonnen: Mit Nina Nastasia und „L‘altra“ stimmen am Wochenende zwei Konzerte auf die anstehende melancholische Jahreszeit ein

von SANDRA ZIEGELMÜLLER

Es ist die kalte Jahreszeit, in der es überhand nimmt: Lichtentzug drosselt die Endorphinzufuhr und verschlungene Formen der Melancholie brechen sich Bahn, um jede Vitalität aus Geist und Körper zu saugen. Die seelische Anfälligkeit steigt bedrohlich. Nun gilt es, Strategien zu entwickeln, um den alljährlichen Herbstinfarkt zu überwinden: Etwa durch Züchtigung des Körpers in der Mucki-Bude oder die unmäßige Einnahme von Suchtstoffen. Ferner gibt es die Möglichkeit, sich bewusst auf die heraufziehende Düsternis einzulassen. Wer sich ohne Illusion der Schwermut hingibt, kann aus einer gewissen Schönheit der Verzweiflung durchaus kleine Glücksmomente schöpfen. Passende Unterstützung bietet hierbei: Musik.

Zur Einstimmung eignen sich am kommenden Wochenende gleich zwei Konzerte. Die zerbrechliche Singer-Songwriterin Nina Nastasia hat in diesem Jahr so manchem Musikkritiker den Atem geraubt, und nach ihrer musikalischen Darbietung auf dem englischen „All Tomorrows Parties“-Festival wurde die Singer-Songwriterin von John Peel gleich für zwei BBC-Radiosessions verpflichtet. Ihr aktuelles, zweites Album The Blackened Air präsentiert eine sparsam eingesetzte Klangvielfalt aus akustischer Gitarre, Schlagzeug, Akkordeon, bescheidenen Streichern und einer verstörend vor sich hin singenden Säge.

Stilistisch sind Nastasias transparenten Arrangements schwer zu fassen, erinnern am ehesten an Off-Folk-Bands wie Black Heart Procession. Songs wie das ergreifende „This is what it is“ beginnen düster und rauh, um im Refrain dann unverhofft aufzubrechen – das sind Momente, in denen sich das Herz des Hörers in Sekundenschnelle erwärmt. Inhaltlich dreht sich alles um das urbane Leben mit seinen unerfüllten Liebesbeziehungen und all den anderen alltäglichen Sehnsüchten, die schon immer als Grundlage für wahrhaftige Songs dienten.

Aufgenommen wurde Nina Nastasia übrigens vom Star-Produzenten Steve Albini – was überrascht, ist der verschrobene Mischpult-Wizard doch eigentlich bekannt für einen harten und explosiven Sound, und nicht zuletzt für sein eigenes Stakkato-Noise-Projekt Shellac. Mit der Dokumentation von Nastasias Songwriting hingegen zeigt Albini, dass er kein unsensibler Mensch ist und es ebenso gut versteht, organische Klangfarben zu produzieren, weit ab von geballtem Testosteronrock.

Emotionale Tiefe, ohne aufdringlich zu sein, das schafft auch die Gruppe L‘altra. Bei ihrem letzten Gastspiel in dieser Stadt waren viele der Anwesenden sich einig, eines der schönsten Konzerte des Jahres erlebt zu haben. Zwei besondere Merkmale kennzeichnen die Musik der Chicagoer: eine fast schon pastorale Anmut und ein, hier wären wir wieder beim Herbstthema, geflissentlich transportierter Trübsinn.

L‘altra evozieren eine Ruhe, die nicht leichthin ins Leere läuft oder an der Oberfläche verkümmert, sondern Spuren hinterlässt – vielleicht am besten zu beschreiben als ein erhabenes Gefühl von behaglicher Traurigkeit. Die schwerelosen Downtempo-Songs fordern bedächtiges Lauschen und Schwelgen. Wenn Lindsay Anderson und Joseph Costa sich ihre Passagen abwechselnd zusingen und die Melodiebögen dann in harmonischer Zartheit ineinander fließen, kann durchaus ein wohliger Schauer über die Rückenpartie fahren.

Wie bei Nina Nastasia sind auch die Arrangements von L‘altra mit einer Vielzahl an Instrumenten fein ausgearbeitet, auch hier wird nicht einfach Gitarrenpop gespielt, sondern eine intime Befindlichkeit formuliert. Mit dieser Art von Musik hat man gute Chancen, dem Unbehagen der dunklen Jahreszeit ein Schnippchen zu schlagen – falls es doch nicht hinhaut, bleibt ja immer noch der Gang zur Theke.

Nina Nastasia: Sonnabend, 21.30 Uhr, Astra-Stube; L‘altra (mit Pulse Programming): Sonntag, 21 Uhr, Tanzhalle