pampuchs tagebuch
: Linguistisch ganz doll geknuddelt

Unübertroffen ist noch immer das „spratzel spratzel“, mit dem in einer uralten Donald-Duck-Geschichte das Verhalten eines Drahtes unter Strom sprachbildnerisch vollendet dargestellt wurde. Eine neue grammatikalische Form schlüpfte da mühsam – „drück, zwängel, ächz“ – ans Licht, und wir freuten uns darüber. Kaum ein akustisches Ereignis, das nicht von Dr. Erika Fuchs, der genialen Micky-Maus-Übersetzerin, lautmalerisch überzeugend bewältigt wurde.

 Mit „kreisch-brüll-zonk“ nahm denn auch die Studentenbewegung machtvoll einen onomatopoetischen Anlauf auf die Erstarrungen der Adenauer-Republik. Einer der wichtigsten Chronisten dieser Bewegung, der unvergessene Gerhard Seyfried, bastelte eifrig und konsequent weiter an der Vervollkommnung dieser damals noch namenlosen Verbform. Das war gar nicht so einfach, ging nicht ohne manches „gähn, würg, kotz“ ab, führte aber zu Begriffen, die es schafften, ganze Bewegungen in den Bernstein eines einzigen Wortes zu fassen: etwa das einmalige „vorbeischweb“, mit dem eine seinerzeit häufig zu beobachtende vergeistigte Spezies hinreichend und erschöpfend beschrieben war.

 Inzwischen hat auch die Linguistik – „hinterherhink, sich dranhäng, wichtigmach“ – die Verbform anerkannt und (dankenswerterweise) benannt, als „Inflektiv“ nämlich oder wahlweise auch als „Infinite Verb-Letzt-Konstruktion“. Denn „stotterstotter“, „schlabber“, „schlürf“, „hüstelhüstel“ und Ähnliches gehören inzwischen zum (gesprochenen) Kommunikationsalltag. Aber auch die so genannten komplizierteren „Inkorporationen“ wie etwa „aufdenputzhau“ oder „maulaufreiß“ verbreiteten sich immer weiter.

 Wenn aber neuerdings die Wissenschaft – in Gestalt des Hannoveraner Linguisten Peter Schlobinski – verbreiten lässt (www.mediensprache.net/de/websprache/chat/inflektive/), dass Inflektivkonstruktionen „nur in Chats vorkommen“, also eine Erfindung des Internets und der Online-Kommunikation seien, dann kann ich nur mit einem gehörigen „dieaugenreib“, „hohnlach“ und „kopfschüttel“ antworten. Meine Lieblingscousine R. erfreut mich und den Rest der Welt seit mindestens 20 Jahren mit erfrischenden, im Übrigen zumeist ausgesprochen selbstkritischen Inflektiven wie etwa den Klassikern „indietaschelüg“ und „selbstbetrüg“. R. würde Schlobinski, hörte sie von seiner Analyse, mit einem knallharten „tomatenaufdenaugenhab“ abfertigen, und das nicht im Chat, nicht in der E-Mail, nicht einmal in einem Brief, sondern – ausderhüfteschieß – am Telefon.

 Das soll nicht heißen, dass Schlobinski nicht auch Richtiges und Bemerkenswertes erkannt hat. Natürlich hat der Chat die Inflektivkonstruktionen zu neuen Höhen getrieben, und natürlich hat das was mit „Sprachökonomie“, genauer gesagt: mit „Tippökonomie“ zu tun. Wenn Schlobinski (in der Süddeutschen) die Gefahr zurückweist, dass Inflektive aus den Chats heraus die deutsche Alltagssprache überschwemmen könnten und die „Gefahr für einen Kulturverfall da eher gering“ sei, fragt man sich allerdings, ob er nicht überhaupt an einer falschen Front kämpft. Was ist gegen den bewusst genutzten Inflektiv, egal ob gesprochen, geschrieben oder gechattet, zu sagen? Sollten wir uns nicht über jede neue grammatikalische Form freuen?

 Der gechattete Inflektiv jedenfalls ist eine rundum begrüßenswerte Erscheinung *ganzdollknuddel*. Hoffen wir, dass er sich gegenüber anderen Chatsitten, wie etwa den blödsinnigen Abkürzungen vom Typ „HIWTH“ (hate it when that happens) oder den lächerlichen :-) (Smilies) *kotzwürg*, durchsetzt. Hinterdieohrenschreib.

THOMAS PAMPUCH

ThoPampuch@aol.com