Viel spannender als Basketball


Die besten Chancen zum Wahlsieg hat der frisch gebackene Basketball-WeltmeisterWo zwei sich zerfleischen, freut sich der Dritte: der von Milošević empfohlene Nationalist Šešelj

von ANDREJ IVANJI

Über 100.000 Menschen feierten Anfang September auf den Straßen Belgrads den fünften Weltmeisterschaftstitel der jugoslawischen Basketballmannschaft. Auf dem Weg ins Finale wurden die USA geschlagen, der fröhliche Patriotismus kannte keine Grenzen mehr: „Serbien! Serbien!“, dröhnte es in den Straßen der Hauptstadt, und „Vlade Divac for President!“ – der Plebs ließ die Politiker wissen, dass er am liebsten den Center der US-amerikanischen „Sacramento Kings“ an der Spitze Serbiens sehen würde.

Die serbische Präsidentenwahl am 29. September würde der Basketballer Divac glatt gewinnen, kommentierte die Moderatorin der einflussreichen politischen Sendung „Eindruck der Woche“ des Belgrader TV-Senders „Studio B“. Kein Wunder, dass sich Politiker um die „Helden aus den USA“ drängten, damit der Glanz der Sportler auf die graue serbische Wirklichkeit abfärbe. Ansonsten wurde die Massenbegeisterung für den Basketball von den zehn serbischen Präsidenschaftskandidaten eher misstrauisch verfolgt.

Zudem will kein richtiger Enthusiasmus bei der Bevölkerung für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen aufkommen. Man fürchtet schon, sie könnte an geringer Wahlbeteiligung scheitern. Der Grund: Die während der Ära von Slobodan Milošević eingebürgerte schlechte Gewohnheit der „Antikampagne“ wird in Serbien nach wie vor praktiziert. In den meisten Aussagen werben die Kandidaten nicht für sich, sondern sprechen sich gegen ihre Kontrahenten aus – wie jüngst eine Studie dokumentierte. So könne die Bevölkerung schwerlich motiviert werden, zu den Wahlurnen zu gehen. Was die ersten „freien und demokratischen“ Wahlen in der Nachkriegsgeschichte Serbiens werden sollten, droht sich in einen der schmutzigsten Wahlkämpfe überhaupt zu verwandeln.

„So einen Präsidenten wollen wir nicht!“, steht in einem Werbespot neben den Aufnahmen von Jugoslawiens Präsident Vojislav Koštunica, der täglich im TV-Sender „Pink“ gesendet wird. Koštunica wird als ein verbohrter Nationalist dargestellt, mit dem Serbien keine Chancen hätte, in die Gemeinschaft moderner europäischer Staaten aufgenommen zu werden. Den Werbespot bezahlt die Jugendorganisation der Demokratischen Partei (DS), die die Präsidentschaftskandidatur von Jugoslawiens Vizepremier, Miroljub Labus, unterstützt.

„Ich werde zum ersten Mal in meinem Leben nicht wählen gehen“, sagt entrüstet der 36-jährige Anwalt Zoran Obradović. Er sei enttäuscht und angeekelt von dieser Wahlkampagne und fühle sich „irgendwie persönlich beleidigt“. Ein Jahrzehnt lang habe er gegen das Regime Milošević demonstriert, sich mit der Polizei geschlagen, um sich jetzt ansehen zu müssen, wie sich die Führer der Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) wie „Hyänen um die übrig gebliebene Beute reißen“. Der Nationalismus und Konservatismus des tief religiösen Koštunica stößt ihn ab. Dem Liberalen Fachmann Labus wirft der junge Anwalt vor, ein doppeltes Spiel zu spielen: Er wolle nicht zugeben, dass Premier Zoran Djindjić und die gesamte serbische Regierung hinter seiner Kandidatur stünden, stelle sich aber als ein unabhängiger Kandidat dar, besuche andauernd „irgendwelche serbisch-orthodoxen Klöster“, nur weil er glaube, dass die Serben so etwas gern sehen würden.

Meinungsumfragen zeigen, dass viele junge Menschen ähnlich denken: Koštunicas Popularität dagegen steigt, denn er ist, was er immer schon war: ein moderater Nationalist, der erst neulich sagte, dass die Republika Srpska in Bosnien nur „vorübergehend“ vom Mutterland Serbien getrennt sei; die Popularität seines Konkurrenten Labus sinkt wohl deshalb, weil er sich als „größerer Katholik als der Papst“ inszeniert – und deshalb einerseits seine Stammwähler verliert, andererseits auch die Nationalisten nicht überzeugen kann.

Durch die schweren Beschuldigungen, Verleumdungen, Hasstiraden und die ausdrückliche Parteilichkeit einzelner Medien wird die Stimmung in Serbien zusätzlich aufgeheizt – als ob es sich um „schicksalhafte“ Wahlen handeln würde. Man spricht von einem „Plebiszit“ für vorgezogene Parlamentswahlen, bei denen die Regierung Djindjić abgelöst werde, der „Wahl zwischen zwei Weltanschauungen“, der Abstimmung für einen „serbischen Weg“, der Wahl zwischen Europa und Isolation.

Koštunica warnt schon davor, dass die serbische Regierung zugunsten von Labus einen „Wahlbetrug“ begehen könnte, und dass sich die Reformen der serbischen Regierung höchstens „in der Wahlwerbung“ abspielten. Aus der DS des Premiers kam prompt der Konter, dass Koštunicas Aussagen einen „faschistoiden“ Ton annähmen.

Die heftige Auseinandersetzung zwischen den ehemaligen Verbündeten in der DOS, die die Wende in Serbien vollbracht und Milošević dem UN-Tribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag ausgeliefert haben, verwirrt viele Bürger.

„So schlecht wie Djindjić hat nicht einmal Milošević von Koštunica gesprochen. Mein Gott, die beiden haben doch auf der gleichen Seite gekämpft“, sagt der pensionierte Arzt Aleksandar Ilić in seiner Stammkneipe „Majestic“. Er habe gehofft, dass die „skrupellose Bekämpfung politischer Gegner ein Ende genommen hat“, dass Serbien der Sprung in eine zivilisierte Gesellschaft gelungen sei. Man habe damals gegen Milošević und für eine Wende gestimmt, doch anscheinend habe sich das System nur wenig geändert.

Und wie immer, wenn dieser Tage in größerer Runde die Politik erwähnt wird, bricht heftiger Streit aus. Die Anhänger von Koštunica, sonst friedliche Biertrinker im „Majestic“, werfen Djindjić hitzig vor, ein „Dieb und Mafioso“ zu sein, der „Kontakt zum organisierten Verbrechen“ und die Aufgabe habe, alles, was noch wertvoll sei in Serbien, „den Deutschen“ zum Spottpreis zu verkaufen. Koštunica sei der richtige Präsident, denn nur er allein sei der Garant für einen Rechtsstaat.

Dagegen meinen die Anhänger von Labus und Djindjić, nur diese beiden Politiker könnten Serbien nach Europa bringen, denn sie und ihr Team, das seien alles moderne, energische junge Menschen. Außerdem hätte die Regierung gerade die restlichen Renten ausgezahlt.

Alle Präsidentschaftskandidaten der DOS sind durch den internen Streit der de facto schon auseinander gefallenen Koalition geschwächt – der Ultranationalist und begabte Populist Vojislav Šešelj lauert derweil im Hintergrund. Während sich die zwei Hauptprotagonisten gegenseitig bekämpfen, steigt seine Popularität rasant. Immerhin hat ihn Slobodan Milošević aus seiner Gefängiszelle heraus zu seinem Wunschkandidaten erklärt – und „serbische Patrioten“ hörten aufmerksam zu.

Nach über einem Jahrzehnt, erschüttert von Kriegen, Demonstrationen und Armut, wirken die Bürger des sozial ruinierten Serbiens müde. Von der Aufbruchsstimmung nach der Wende vor zwei Jahren ist nichts mehr zu spüren. „Alles ist gleich geblieben, nur Milošević ist weg!“, verkündet ein Graffito im Zentrum Belgrads. Der tobende Machtkampf droht die Menschen in eine lähmende Apathie zu treiben. Und von dort womöglich direkt in die offenen Arme des Ultranationalisten Šešelj.