Die neue Kanzler-SPD

Stärker als bisher wird die Partei ein „Wir halten Gerd den Rücken frei e. V.“ Jetzt kommen die jungen Pragmatiker an die Macht

aus Berlin JENS KÖNIG

Gerhard Schröder hatte mit seiner zweiten Kanzlerschaft gerade begonnen, da war schon wieder von seinem Ende die Rede. Wie er denn jetzt zu seiner Aussage stehe, dass acht Jahre als Bundeskanzler genug seien, wurde Schröder gleich am Morgen nach seinem Wahlsieg gefragt. Der Kanzler setzte sein Raubtierlächeln auf. „Nach dieser Wahlnacht“, sagte er, „da krieg’ ich richtig Lust.“

Nun sollte man einen Teufel tun und diese Aussage irgendwie mit dem Jahre 2006 und Schröders geheimen Karrieträumen in Verbindung bringen. Diese Mutmaßung käme exakt vier Jahre zu früh. Der Kanzler denkt an heute, morgen und übermorgen, an Koalitionsverhandlung, Regierungsbildung und sein verkorkstes Verhältnis zu George Bush. Schröder ist ein Meister des Augenblicks, mit Träumen über den Tag hinaus hat er wahrlich nichts am Hut. Auch die ersten, schnellen Entscheidungen des SPD-Vorsitzenden zeigen das: Franz Müntefering, Herr und Meister sozialdemokratischer Disziplin, ist seit Dienstag neuer Chef der SPD-Bundestagsfraktion, und Olaf Scholz, ein geschmeidiger, mediengewandter Pragmatiker, wird als Nachfolger von Müntefering neuer Generalsekretär der Partei; seine Bestätigung vom SPD-Präsidium und seine Wahl auf dem Parteitag am 20. Oktober sind nur noch Formsache.

Mit beiden Entscheidungen, betrachtet man sie zusammen, signalisiert der Vorsitzende der Kanzler-SPD, was er von seiner Partei in den nächsten vier Jahren erwartet: Sie soll regieren, diszipliniert mitmachen, nicht herumnörgeln, und wenn das im Großen und Ganzen gut läuft, dann darf sie im Kleinen hin und wieder mal eine sperrige Idee äußern. Für diese Aufgabe steht zuallererst Franz Müntefering, Schröders wichtigster Mann in der Partei. Deswegen war es für den Kanzler auch so wichtig, den Sauerländer zu überreden, ihm noch einmal vier Jahre zu helfen. Müntefering hatte nach zwei aufreibenden Wahlkämpfen für Schröder zwischenzeitlich schon mal ans Ausscheiden aus dem Zentrum der Macht gedacht.

Müntefering verkörpert so etwas wie die organisatorische Ausgabe der sozialdemokratischen Idee. Er genießt bei vielen Genossen, vor allem an der Basis, hohes Ansehen, weil er in seiner recht einfachen Weltsicht einer von ihnen geblieben ist. Als Generalsekretär hatte er so großen Einfluss, dass Schröder ihn als „Parteivorsitzenden 1 b“ einsetzte. Das wird Müntefering auch als Fraktionsvorsitzender bleiben. Für Olaf Scholz, den neuen Generalsekretär, wäre diese Aufgabe noch eine Nummer zu groß. Er wird sich zunächst darauf beschränken müssen, ein von Schröder und Müntefering ins Vertrauen gezogener politischer Geschäftsführer zu sein. Damit dürfte der Spielraum für den bisherigen Bundesgeschäftsführer und Müntefering-Vertrauten Matthias Machnig gleich null sein; nach der harten innerparteilichen Kritik an seinem Kampa-Wahlkampf denkt Machnig aber ohnehin über einen Jobwechsel nach.

Die SPD ist ja schon lange nicht mehr die einst so komplizierte Truppe aus Idealisten und Ideologen. Aber wenn sich jetzt mit Müntefering das innerparteiliche Gewicht in den kommenden vier Jahren von der Partei hin zur Bundestagsfraktion verlagert, dann hat das Folgen. Die SPD wird noch stärker als bisher ein vom Kanzleramt dirigierter „Wir halten dem Gerd den Rücken frei e. V.“

Betrachtet man Schröders Personalentscheidungen hingegen isoliert, dann senden sie durchaus unterschiedliche Signale aus. Der 62-jährige Müntefering verkörpert keinen politischen Aufbruch und schon gar keine rot-grüne Kultur. Der 44-jährige Scholz im Amt des Generalsekretärs aber ist ein erster Vorgriff Schröders auf eine verjüngte, weniger traditionsbeladene SPD, eine Partei also, die die Zukunft der Sozialdemokratie verkörpern soll, wenn der jetzige Vorsitzende mal nicht mehr ist.

Für diese neue SPD stehen zuallererst Matthias Platzeck, 49, und Sigmar Gabriel, 43, die beiden Ministerpräsidenten aus Brandenburg und Niedersachsen. Nach Schröders Vorstellungen sollen sie 2003 zu stellvertretenden Parteivorsitzenden aufsteigen. Und wenn es irgendwann den jetzigen SPD-Chef zu beerben gilt, werden Platzeck und Gabriel ganz oben auf der Liste der Kandidaten stehen. Andere jüngere SPD-Politiker wie die baden-württembergische Landeschefin Ute Vogt, 37, der Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee, 47, der Thüringer Landesvorsitzende Christoph Matschie, 41, und der NRW-Landeschef Harald Schartau, 49, werden alle jetzt schon genannt, wenn über die neuen Minister der rot-grünen Koalition spekuliert wird.

Mit ihnen nimmt die Post-Schröder-Ära erste Konturen an, und nicht zufällig sind sie in ihrer Art ganz wie ihr jetziger Chef: ideologiefrei, pragmatisch, mediengewandt. Mit Parteizirkeln und Programmdebatten haben sie nicht viel am Hut, mit Visionen ebenso wenig. Politik heißt für sie vor allem: Probleme lösen. Und davon hat nicht nur das Land, sondern auch die SPD genug. Nicht nur die nächsten vier Jahre.