Suchtprävention bei Jugendlichen
: „Soziale Isolierung ist schädlicher als Rauchen“

Kids schlucken zu viele Pillen

Der Titel der Veranstaltung klang zwar recht orgiastisch, die TeilnehmerInnen begnügten sich jedoch mit Koffein, Nikotin – und nüchternen Fakten: Unter dem Motto „Ständig irgendwie breit“ gingen Straßensozialarbeiter, Lehrer und Mitarbeiter von Bremer Drogenberatungsstellen im Lidice-Haus der Frage nach, mit welcher Präventionsarbeit dem gewandelten Rauschmittelkonsum von Jugendlichen begegnet werden soll.

Gerhard Christiansen von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stellte einen Anstieg der Nichtraucher unter Jugendlichen fest. Nur bei den ganz Jungen nehme das „Probierverhalten“ beim Rauchen zu. „Jugendliche rauchen sehr viel moderater als früher“, sagte Christiansen, was auch mit einem stärker ausgeprägten Körper- und Gesundheitsbewusstsein zu tun habe.

Gleichwohl bilden die 15- bis 19-Jährigen den Kern der jugendlichen Drogenkonsumenten. Bei einer Umfrage unter fast 900 AchtklässlerInnen aus Bremen-Stadt hatten sich vor ein paar Jahren nur 13,5 Prozent als „völlig drogenabstinent“ erwiesen. Etwa ein Viertel der Schüler hatte bereits illegale Drogen konsumiert, darunter vor allem Haschisch. Es sei erschreckend, berichtete im Lidice-Haus ein Jugendbetreuer, wie stark nikotinabhängig viele 15-jährige Mädchen seien, vor allem Hauptschülerinnen rauchten „wie die Schlote“. Eine Lehrerin erzählte, dass es bei Eltern zwar häufig „Hysterie wegen des Kiffens“ gebe, fast nie jedoch Sorge wegen des Alkohol- oder Medikamentenkonsums ihrer Sprösslinge.

Auch Stephan Quensel vom Bremer Institut für Drogenforschung (BISDRO) äußerte sich besorgt über den zunehmenden Medikamentenkonsum junger Menschen. Pharma-Pillen, wie etwa das populäre Ritalin, dürften keinesfalls aus der Prävention ausgegliedert werden, mahnte er. Für den Forscher ist allerdings nicht die Droge selbst das Problem, sondern die Lebensbedingungen, unter denen zur Droge gegriffen wird: „Soziale Isolierung ist gesundheitsschädlicher als Rauchen“, spitzte Quensel seine These zu.

Vor allem die Gruppe der – noch – drogenabstinenten, aber ungeselligen Jugendlichen sei „hoch gefährdet“. Diese „Isolierten“, die oft aus Arbeiter-Elternhäusern kämen, hätten weder die liberale Erziehungsideologie noch die üppigen Freizeitangebote der Mittelschicht genossen, weshalb sie sich weniger gesund fühlten und häufiger zu Schmerzmitteln griffen.

Die Suchtgefahr sei umso größer, je geringer der Bildungsgrad und die Fähigkeit sei, sich in seiner „Peer Group“ eine eigenständige Position zu erarbeiten, sagte Quensels Mitarbeiterin Birgitta Kolte. Im Übrigen müsse man „wegkommen von dem Begriff Suchtprävention und der ewigen Abstinenzgeschichte“, sagte Kolte. Sie plädierte für ein Fach „Drogenkunde“, bei dem die Schüler den Umgang mit Rauschmitteln lernen sollen. Kolte selbst berauscht sich übrigens gerade an ihrer Dissertation. Das Thema: „kontrolliertes Rauchen“. jox