Golf goes giftig

Nirgends ist das feine Spiel mit dem Schläger so anders, so aufwühlend, emotionsgeschütteltund chauvinistisch wie beim Ryder Cup, dem prestigeschwangeren Kontinentalduell Europa – USA

„Wenn ihr nervös seid, schaut die routinierten Gegner neben euch an“

aus Birmingham BERND MÜLLENDER

Individualistischer als Golf kann eine Sportart kaum sein. Jeder kämpft nur für sich um Putts, Pars, Platzierungen und Preisgelder, meist stoisch, cool und sehr beherrscht. Ganz anders ist der Ryder Cup, das Olympia des Golfs, das am Wochenende zum 34. Mal ausgetragen wird, dieses Mal im englischen Sutton Coldfield bei Birmingham. Ryder Cup ist in vielerlei Hinsicht Golf verkehrt: Die Spieler (je 12) bilden Mannschaften – aber nicht National-, sondern Erdteilteams: Europa gegen USA. Bernhard Langer, zum zehnten Mal dabei, formulierte jetzt einen im Sport seltenen Europagedanken: „Beim Ryder Cup repräsentiere ich meinen Kontinent.“

Alte Welt gegen Neue Welt – das ist ein gnadenloses Prestigeduell, die große Frage der Ehre. Es gibt nicht die üblichen Zählspiele, sondern verschiedene Matchplays, bei denen für jedes Loch ein Punkt vergeben wird, bei den „Foursomes“ wird sogar von den je zwei Leuten pro Team ein Ball abwechselnd geschlagen. Und am Sonntag schließlich ist Showdown, da wird zwölfmal das Duell Mann gegen Mann gegeben. Gewinnen können die Schwungstars, sonst mit Prämien nahe der Million verwöhnt, keinen Cent, weder in US- noch in Euro-Währung. Aber sie verlieren gerne – ihre disziplintypische Contenance: Wo sie sonst selbst bei einem spektakulären Eagle vor lauter Understatement gerade mal lächelnd die Kappe angedeutet lupfen, wird beim Ryder Cup gebrüllt, getobt, geweint, lauthals geflucht und gejubelt wie unter Hools im Fußballstadion. Es heißt sogar, eine Ryder-Cup-Teilnahme präge lebenslang den Schlaf: Jeder Albtraum handle automatisch von Momenten eines solchen Turniers, vom nervös verzogenen Abschlag, vom Zittern vor dem schiefen Putt, der dem Team alles kaputt machen kann.

Beim letzten Mal, 1999 in Brookline bei Boston, war es besonders schlimm. Außenseiter Europa führte am Samstag noch 10:6 und schien das Duell unverschämterweise zum dritten Mal in Folge zu gewinnen. Da meldete sich George W. Bush, damals noch Kandidatenanwärter, mit einer patriotischen Brandrede. Er berichtete von einem Soldaten, der einstmals im Fort Alamo ganz allein tausende mexikanischer Soldaten aufgehalten habe, obwohl die Lage aussichtslos schien. „Wir sind zwar keine Soldaten, aber für müssen kämpfen, als ob wir welche wären“, erkannte Davis Love. Und David Duval peitschte seine Mitspieler auf: „Geht raus und tötet sie.“ 30.000 US-Zuschauer gaben die Kombattanten. Sie störten die Europäer mit Zwischenrufen, verhöhnten sie und pöbelten, als wäre man in der Boxhalle. „USA, USA“ skandierten Tausende nach jedem Erfolgsputt, nach Fehlern eines Gegners brach hämischer Jubel los. Die USA gewannen noch mit 14,5:13,5; es war die spektakulärste Aufholjagd, seit der Samenhändler Samuel Ryder 1926 den Cup gestiftet hatte.

„Traurig, unsportlich und hässlich“, fand es nachher der Spanier José María Olazabal, der im entscheidenden Match mit einem 8-Meter-Putt an Loch 17 noch hätte ausgleichen können. Aber tausende Fans, ein halbes Dutzend kindisch verzückter US-Spieler samt Caddies und Gattinnen trampelte schon siegestrunken übers Grün. Ekstase statt Etikette, Flegeltum statt Fairplay. Europas damaliger Co-Captain Sam Torrance meinte: „So etwas Ekelhaftes habe ich noch nie auf einem Golfplatz gesehen.“

Tom Lehman, übelster US-Rüpel damals, ist 2002 nicht mehr dabei. Entschuldigt hat er sich für seine Ausraster der neuzeitlichen „Boston Tee Party“ nie: „Wenn das schlechte Manieren sind, dann habe ich eben schlechte Manieren.“ Angefangen hatte die Eskalation freilich schon 1991 in Kiawah Island, wo das Golfspiel zur Fortsetzung des Golfkrieges wurde und flugs zum „war on the shore“ (Krieg an der Küste) erklärt wurde: Erst ließen die US-Veranstalter bei der Eröffnung verdiente Irakkrieger aufmarschieren, dann stülpten sich die US-Spieler Militärmützen über. Das sollte Solidarität beweisen.

Im Vorfeld von Birmingham sind Begriffe wie Rache tabu, aber alle denken daran. Die Verantwortlichen sprechen von Verantwortung, von Respekt dem Spiel gegenüber. „Wir freuen uns auf Hingabe und Stolz in sportlicher Atmosphäre, mit ehrlicher und fairer Unterstützung durch die Fans“, lassen die beiden Team-Captains verbreiten. US-Captain Curtis Strange erklärte aber auch, seine Spieler seien wie „große Kinder“, die mit „vielen Emotionen und der Flagge auf dem Ärmel“ anträten.

Die Veranstaltung heißt übrigens auch 2002 noch „Ryder Cup 2001“. Im Vorjahr sahen sich die Amerikaner vierzehn Tage nach dem 11. September nicht in der Lage, ein Flugzeug zu besteigen und sich auf Golf zu konzentrieren. Man beschloss, genau ein Jahr später anzutreten, mit den gleichen Spielern. Ein Agreement, das sich für die Europäer jetzt als Nachteil herausstellt. Denn während Tiger Woods, Phil Mickelson und Co. ihre Form konservieren konnten, steht es um die aktuelle Verfassung der Euro-Fighter mehrheitlich schlecht. Der Engländer Lee Westwood ist nach seiner halbjährigen Babypause ebenso aus dem Schwung geraten wie der Ire Paul McGinley und der Schwede Niklas Fasth ohne Kindergeschrei daheim. Colin Montgomerie (Schottland) plagt sich abwechselnd mit seinem Rücken und seiner Ehe, das deutsche Jungseniorenphänomen Bernhard Langer (45) ist vor seiner letzten Teilnahme nicht mehr in der tollen Vorjahresform.

Beim Ryder Cup wird gebrüllt, getobt, geweint, lauthals geflucht und gejubelt

Nur der spanische Jungspund Sergio Garcia und Freund von Martina Hingis ist der aktuellen Top Ten der Welt angehörig. Ansonsten locht nur der Däne Thomas Björn derzeit auf Topniveau und gewann zuletzt die German Open in München. Man hofft auf Trotzreaktionen: Vor drei Jahren wuchsen ausgerechnet der Schwede Jesper Parnevik und Garcia, damals 19, zwei Tage lang über sich hinaus und waren auch von Tiger Woods nicht zu besiegen. Der hat am letzten Wochenende beim Sieg in Irland mit 263 Schlägen das beste Ergebnis seiner ohnehin fantastischen Karriere hingelegt. Aber: Bei seinen beiden Ryder-Cup-Auftritten schaffte er bislang gerade mal 3,5 von 10 Punkten.

Oft schon haben im Ryder Cup nicht Papierform oder die Weltrangliste entschieden, sondern Nerven, Teamgeist, Zusammenhalt, kluge Strategie und Taktik sowie das Pokern um die richtigen Doppelpartner. Vier Neulinge sind im Europateam. Der Nordire Darren Clarke hat ihnen gesagt: „Wenn ihr nervös seid, braucht ihr bloß die routinierten Gegner neben euch anzugucken. Die fühlen sich genauso.“ Und die haben was zu verlieren. Die Trainingsrunden sah Amerikaner, die stets die Pärchen wechselten, insbesondere spielte der schwächelnde Doppelspieler Tiger Woods immer mit jemand anderem. Beobachter deuten das wahlweise als Experimentierfreude – oder Nervosität.

Es geht um die kontinentale Ehre. Ob die feinen Briten ab heute Morgen, neun Uhr, „Europe, Europe“ brüllen? Und wenn schon, sagen die US-Amerikaner, diese rückständigen Europäer haben ja noch nicht mal eine gemeinsame Hymne. Vielleicht werden sie Bernhard Langer auf Geheiß ihres derzeit beleidigten Präsidenten in nationale Sippenhaft nehmen und nur „von diesem deutschen Spieler“ reden. Nicht dass sie ihn (Bush: „Wer nicht auf unserer Seite ist, ist unser Feind“) womöglich mit ihren Drivern über die edlen Wiesen des The De Vere Belfry Golfclubs jagen werden. Teamchef Curtis Strange tönt schon: „Das wird wieder ein patriotisches Wochenende.“ Kurzum: „Es wird fürchterlich.“