Aufmarsch gegen einen abgetakelten Diktator

1991 hatten die USA viele arabische Staaten auf ihrer Seite. Heute nicht. Denn in der Region fürchtet man Saddam Hussein kaum – die Kriegsfolgen dafür umso mehr

BERLIN taz ■ Vielleicht wird alles gut. Vielleicht werden US-Streitkräfte im Februar 2003, mit einem UN-Mandat ausgestattet, im Irak einen kurzen Krieg gewinnen. Die irakische Armee löst sich schon am zweiten Tag auf, Saddam Hussein flieht. Das UN-Embargo wird aufgehoben. Der Irak bleibt als Staat erhalten. Und weil das so blendend geklappt hat, beschließt George W. Bush als Friedenspräsident in die Geschichte einzugehen und Israels Premier Scharon zu den entscheidenen Konzessionen gegenüber den Palästinensern zu zwingen. Pax Americana.

Aber wahrscheinlich ist dieses Szenario nicht. Schon weil die Interessenslage der Staaten in Nahost von Ägypten bis zum Iran anders ist als 1990. Damals, so der Nahostexperte Volker Perthes auf einer Tagung des Hessischen Instituts Friedens- und Konfliktforschung vorgestern in Berlin, „agierten die USA und die Alliierten im Interesse der arabischen Liga“. Denn Saddam Hussein hatte aufgerüstet, Kuwait ausgelöscht, und strebte nach der Vorherrschaft in der Region. Insofern war man damals in Kairo, Riad und Damaskus nicht unfroh über die US-Intervention, die einen gefährlichen Konkurrenten beseitigte. „Syrien, Ägypten und Saudi-Arabien sind seitdem die hegemonialen Mächte“, so Perthes, der Irak nicht mehr. Saddam Hussein, mit halbierter Armee und ruinierter Wirtschaft, wird in der Region, außer von Israel und Kuwait, nicht als Gefahr betrachtet. Man wäre ihn zwar gerne los – aber die Risiken sind, so glaubt man in Amman und Kairo, zu groß für ein so kleines Ziel.

Die Befüchtungen sind praktischer Art: Wer nimmt die Flüchtlinge auf? Was, wenn es in Amman Anschläge auf US-Einrichtungen gibt? Was, wenn sich im kurdischen Nordirak dauernde Grenzkonflikte mit der Türkei entwickeln? Was, wenn nach der Bombardierung Bagdads die Gewalt im Westjordanland explodiert? Im Iran fürchtet man, von US-freundlichen Regimen in Kabul und Bagdad eingekreist zu werden. Warum also eine weitere Destabilisierung der Region riskieren, nur um einen Diktator zu stürzen?

Außerdem will Bush, zumindest rhetorisch, in Nahost Staaten demokratisieren. Die real existierenden Regierungen in Kairo oder Amman wollen aber lieber nicht zwangsdemokratisiert werden. Man fürchtet eine neue umgekehrte Dominiotheorie: Erst der Irak – und dann? Steht nicht auch der Iran auf der Liste der Schurkenstaaten? Und Syrien? Die Distanz zwischen den USA und der arabischen Liga ist auch durch Bushs Israelpolitik gewachsen: Bis zum Scheitern in Camp David Ende 2000 verfolgten die arabischen Staaten und die USA mehr oder weniger ein gemeinsames Ziel: Israel und Palästina zum Frieden zu tragen. Das ist, seit Bush und Scharon, vorbei. 1991 verband die USA und die irakischen Nachbarstaaten ein paar Interessen, heute nicht mehr.

Und noch ein Unterschied zu 1991 wurde bei der Tagung deutlich: Damals behandelten die USA die irakische Führung als rational handelnden Kontrahenten, dessen Existenz sie akzeptierten. Der Irak setzte seine Chemiewaffen nicht ein, sagen manche, weil die USA für diesen Fall massive Vergeltung bis hin zum Einsatz von Atomwaffen angedroht hatten. Nun aber wollen die USA den Regimewechsel – im Klartext: die Absetzung oder Ermordung Saddam Husseins. Und da könnte es Iraks Führung „rational“ erscheinen, alle Waffen ihres Arsenals einzusetzen. Wer nichts zu verlieren hat, reagiert nicht auf Drohungen. Die Behauptung der US-Regierung, Saddam Hussein müsse ausgeschaltet werden, weil er unberechenbar handelt und auf Drohungen nicht reagiert, würde wahr. In den USA nennt man so etwas Selffulfilling Prophecy.

Der Irak ist heute zwar militärisch bedeutend schwächer als 1991 – doch die Armee wird sich kaum wieder als Zielscheibe mitten in der Wüste den US-Militärs anbieten. Sollte es Saddam Husseins Regime gelingen, einen Teil seiner Truppe zusammenzuhalten, dann wird dieser sich wohl in die Straßen Bagdads zurückziehen: Bilder von zerstörten Wohnhäusern und toten Zivilisten gingen live um die Welt: Ein Albtraumszenario für jeden US-Militärplaner.

Ob schneller Sieg oder Kämpfe von Haus zu Haus – auch die Szenarien für die Zeit nach einem Krieg, darauf wies USA-Experte Peter Rudolf bei der Tagung hin, bereiten den US-Planern Sorge. Womöglich sei das Chaos größer als in Afghanistan. Was es bedeuten würde, ein Land wie den Irak zu besetzen, ist kaum voraussehbar.

Die US-Falken behaupten seit Wochen, dass Saddam al-Qaida unterstützt. Beweis: Fehlanzeige. Dass Saddam eine islamistische, transnationale Terrorgruppe bewaffnet, ist, so Volker Perthes, sehr unwahrscheinlich. Islamisten werden im Irak brutal unterdrückt. „Trotz vielem Aufwand“ (Perthes) von US-Seite gibt es bis dato kein Indiz für die Saddam-al-Qaida-Connection. Der Irakkrieg wäre so etwas wie eine Ersatzhandlung: Wenn wir Bin Laden nicht bekommen, schlachten wir Saddam. Oder wie der New Yorker Comic-Zeichner Art Spiegelman dem Tagesspiegel erzählte: „Ein Mann sucht unter einer Straßenlaterne seinen Schlüssel. Er wird gefragt: Wo ist er denn hingefallen? Antwort: Irgendwo dort hinten. Frage: Und warum suchen Sie nicht dort? Antwort: Hier ist das Licht besser.“

ERIC CHAUVISTRÉ, STEFAN REINECKE