Erdgeist im Barbie-Format

Beim Spielzeitauftakt des Schauspiels im Stadttheater Bremerhaven bleibt Wedekinds „Lulu“ eine Modepuppen-Schönheit ohne Beteiligung

Die Inszenierung schwankt zwischen schaurigem Spektakel und Milieustudie

„Lulu“ ist nicht nur eine Versuchung für die Männer, die an ihrer Seite einer nach dem andern zu Tode kommen, sie ist auch eine Versuchung für Regisseure. Jetzt hat Bremerhavens Oberspielleiter Wolfgang Hofmann sich an ihr versucht und ist gescheitert.

Frank Wedekinds gefährliche Schöne soll ein „Feenkind“ sein, ein kindlich-erwachsener, männlich-weiblicher „Erdgeist“, eine Frau, die unschuldig nach der Sünde greift und die Gesetze der gesitteten Welt mit Füßen tritt. Wer diese Männer-Phantasie der vorletzten Jahrhundertwende in die Gegenwart holt, braucht eine Schauspielerin, die das Verführerische dieses Kunstprodukts in allen Facetten glaubhaft machen kann.

Regisseur Wolfgang Hofmann aber gibt der Debütantin Javeh Asefdjah als Lulu keinerlei Chance, mehr auszuspielen als ihren schönen Körper. Ob sie im Tanzröckchen posiert, im hautengen knallroten hochgeschlitzten Abendkleid, halbnackt im aufreizenden Leder-Trikot oder im Bettlergewand – diese Lulu bleibt sich von Anfang bis Ende immer gleich, sie tritt als vollkommen unbeteiligte Modepuppen-Schönheit auf.

Ob sie von ihrem heißen Fleisch redet, ob sie den blutenden Leichnam ihres toten Malers Eduard (Tilman Fromelt) betrachtet oder die lesbische Gräfin (Isabella Wolf) abweist, es ist immer derselbe Ton, diese Figur berührt weder kalt noch warm. Hier wird Künstlichkeit mit Spannungslosigkeit verwechselt, ein Dilemma, das über drei zäh fließende Stunden bestehen bleibt.

Hofmann setzt den Todesreigen in einen beeindruckend wuchtigen Raum (Bild: Matthias Moebius), eine üppige Gründerzeit-Kulisse, die mit zwei nach hinten spitz zulaufenden Wänden weit in die Tiefe reicht. Zentraler Spielplatz ist eine monströs in die Länge gezogene Sofabank, die den Raum von vorn nach hinten wie eine Mittelachse teilt. Salon und Wartesaal in Einem, gleichzeitig Bordell und letztes Loch. Der Raum wird von Szene zu Szene eleganter, solange Lulu gesellschaftlich aufsteigt, er wird demontiert und immer weiter durchlöchert, sobald ihr Abstieg einsetzt. Am Ende weht ein eisig kalter Wind durch weit geöffnete Türen und Wände, und es tropft unablässlich von der Decke. Ein strenges und schlüssiges Bild, dessen pompöse Größe den Regisseur offenbar vollends gelähmt hat.

Hofmanns Inszenierung schwankt zwischen schaurigem Spektakel, realistischer Milieustudie, Melodram und Tragödie. Aus der halbherzigen Mixtur wird eine über weite Strecken peinliche Boulevard-Klamotte. Die Männer um Lulu – von ihrem Erzieher Dr. Schöning (Kay Krause) über seinen schriftstellernden Sohn Alwa (Frerk Brockmeyer) bis zum Muskelmann Rodrigo (Guido Fuchs) – sind durchgehend als flache Chargen angelegt. Die Szenen um Verführung und Verrat wirken derart blutleer und farblos, dass sich nach kurzer Zeit Langeweile breit macht. “Ich möchte einmal einem Lustmörder in die Hände fallen“, sagt Lulu nach etwa einer Stunde, und immerhin das war verständlich.

Immer mal wieder reißt unvermitteltes und unmotiviertes Geschrei aus der Schläfrigkeit, die von der Zwischenmusik noch verstärkt wird. Um das Tragische zu betonen, verwendet Hofmann die Eingangsmusik von Bachs h-Moll-Messe in überlangen Umbaupausen als Endlosschleife.

Herausgeschnitten ist der Einsatz der Chores. Der taucht erst am Schluss auf, wenn Jack the Ripper sein blutiges Werk getan und Lulu zu Tode gestochen hat. „Drei volle Jahre warte ich auf eine einzige kleine Minute“, sagt die liebessüchtige Gräfin, die Lulu vergeblich umwirbt, und Isabella Wolf lässt in ihren wenigen, kurzen Auftritten ahnen, welcher Schrecken diesen Figuren verloren geht, wenn man sie hilflos zum banalen Klamauk verkleinert. Hans Happel

Im Stadttheater Bremerhaven, Großes Haus. Vorstellungen am 4., 8., 26. Oktober, 14. und 29. November (jeweils 19.30 Uhr). Karten ☎ 0471 - 4 90 01