Wo Antisemitismus endet

Das Jüdische Museum zeigt die Zuschriften von Antisemiten an Henryk M. Broder und die „Jüdische Allgemeine“. Zugleich sind dort seit gestern die Aussagen von Holocaust-Überlebenden zugänglich

von PH. GESSLER
und A. WOLTERSDORF

„Vorsicht, Herr Friedmann! Sie sind doch froh das Sie leben, und das nicht schlecht, bitte hören Sie auf, auf Deutschen Bürgern herumzuhacken.“ Der Schreiber solcher Zeilen hat Probleme mit der deutschen Rechtschreibung – wofür er die Juden im Lande Schillers und Goethes nicht verantwortlich macht. An allen anderen Übeln aber sind sie schuld. Das ist Antisemitismus, klar.

Im Jüdischen Museum eröffnet heute eine Ausstellung, die die andere Judenfeindschaft zeigt, die hintergründigere und vielleicht gefährlichere. Es ist der Antisemitismus, der spätestens seit der Möllemann-Karsli-Affäre im Frühjahr nun auch die Salons der Intellektuellen erreicht hat. „Ich bin kein Antisemit“ heißt die Schau in der ständigen Ausstellung des Museums.

Im Libeskind-Bau an der Kreuzberger Lindenstraße hängen für drei Monate Zuschriften, die der Publizist Henryk M. Broder und die Jüdische Allgemeine in den Wochen der Antisemitismusdebatte erhielten. Angestoßen hatte sie der frühere Vize-Bundesvorsitzende der FDP, Jürgen Möllemann, mit seiner Aussage, der stellvertretende Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, sei mit „seiner intoleranten, gehässigen Art“ mitverantwortlich für antisemitische Stimmung in Deutschland.

Die 50 Zuschriften belegen, dass sich moderner Antisemitismus häufig mit angeblicher Fürsorge um die Belange der Juden kaschiert. Nicht selten fangen sie an mit einer Beteuerung: „Es muss doch jedem Bürger in Deutschland erlaubt sein seine Meinung zu sagen“ – um dann umso deutlicher zu enden: „Warum bezeichnen sich Spiegel und Friedmann als Juden. Entweder sie sind Deutsche jüdischen Glaubens oder Sie sind Juden, also keine Deutsche.“

Wo solches Denken enden kann, zeigt seit gestern auch das Projekt „Erinnern für Gegenwart und Zukunft – Überlebende des Holocaust berichten“, ebenfalls im Jüdischen Museum. In Form einer CD-ROM präsentiert die von dem amerikanischen Regisseur Steven Spielberg gegründete Shoah-Stiftung Berichte von Zeitzeugen, kombiniert mit Informationen zu politischen und gesellschaftlichen Ereignissen während des Nationalsozialismus. Der bereits mehrfach ausgezeichnete Datenträger steht nun den Besuchern an den Computern des Raffael Roth Learning Centers im Museum zur Verfügung. Mit dieser Zusammenstellung macht die „Survivors of the Shoah Visual History-Stiftung“ deutschsprachige Interviews mit Überlebenden des Holocaust aus ihrem weltweiten Archiv zugänglich. Vor allem sind es die heute 87-jährige Irmgard Konrad und Hans Frankenthal, die ihre Lebens- und damit auch Leidensgeschichte erzählen. Die in Los Angeles ansässige Einrichtung verfügt zurzeit über rund 50.000 Videos mit Zeitzeugen-Interviews aus 57 Ländern in 32 Sprachen.