Einbruch bei Ablachwerten

Das Ende der Spaßgesellschaft und die Folgen für die deutsche Humorindustrie

Nach der Wahl sucht man bei den Parteien vergebens nach Lösungen für die Spaß-Misere

Über ein Jahr ist es nun her, dass mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die deutsche Spaßgesellschaft ihr jähes Ende fand. Und die Lage scheint bis heute unverändert ernst: Wirtschaftskrise, Bildungsnotstand und die allgemeine unstete Sicherheitslage drücken schwer aufs nationale Gemüt. Nein, die Stimmung ist insbesondere nach dem Wahlausgang am 22. September nicht lustig im Lande. Die Deutschen haben sich gewissermaßen totgelacht.

Am deutlichsten hat den abrupten Spaß-Einbruch die heimische Witzindustrie zu spüren bekommen. Bundesweit verzeichnen die Humor-Produzenten seit dem 11. September drastische Auftragsrückgänge. In den Pointenschmieden sind mittlerweile Kurzarbeit und Entlassungen angesagt. In den prall gefüllten Magazinen werden die schönsten Witze alt, die Witzeerzähler stehen vor leeren Sälen. Doch was nutzen die besten Ablachwerte, wenn die Nachfrage ausbleibt? Lediglich der versaute Witz verkauft sich noch einigermaßen. Auch in den Bereichen politischer Humor zum Nachdenken und im Schenkelklopfsektor stimmen die Umsätze noch. Bei traditioneller Witzware wie in den Segmenten Kommt-ein-Mann-zum-Arzt, Ostfriesen- oder Schlecht-erzählter-Witz sieht es hingegen düster aus. Auch im Export, von jeher ein Sorgenkind der deutschen Witzbranche, gehen allmählich die Lichter aus. Die deutsche Satireproduktion wurde ebenfalls radikal gedrosselt, und selbst im krisenerprobten Kabarettsektor macht sich Alarmstimmung breit: „Kabarette sich, wer kann“, heißt hier die gar nicht mehr so komische Devise.

Weitgehend nach dem 11. September kollabiert ist auch der deutsche Witze-Zubehörhandel und die lustige Zulieferindustrie. Erst in der vergangenen Woche mussten die Lachgaswerke in Castrop-Rauxel Insolvenz anmelden. Scherzartikel wie Furzkissen, Lachsäcke und falsche Bärte liegen seit einem Jahr wie Blei in den Regalen. Immer mehr Witzanfang-Lieferanten bleiben auf ihrer Lachware sitzen, das Bundesinstitut für Fallhöhenforschung wurde geschlossen.

Besonders betroffen von den Folgen des 11. Septembers ist aber die ostdeutsche Humorbranche. Schon vorher weitgehend unter Westniveau rumulkend, müssen jetzt in den neuen Bundesländern zahlreiche Scherzkekse stempeln gehen. Das thüringische Kalauergewerbe ist vollends zusammengebrochen. Damit nicht genug, sind etliche Ossi-Witzler in diesem Sommer von der verheerenden Überschwemmungskatastrophe heimgesucht worden. Fast das gesamte Scherzgebirge ist betroffen. Im sächsischen Witza etwa wurde das Pointenlager der einheimischen Jux-und-Dollerei trotz eilig aufgetürmter Lachsackwälle vollständig überflutet. In Possenreißa, Landkreis Hanebüchen, hat das Hochwasser in der hier ansässigen Wessi-Witze-Manufaktur, die nach der Wende aus dem früheren VEB Lach- und Scherzwaren-Kombinat der DDR hervorgegangen war, mehr als 10.000 mühsam konstruierter Wessi-Witze zerstört. Gesamtschaden: 17 Euro.

Seitens der Politik ist wenig Hilfe zu erwarten. Nach der Wahl sucht man jedenfalls bei den Parteien vergebens nach Lösungskonzepten für die Spaß-Misere. Einzige Ausnahme: die FDP, die sich mit Cornelia Pieper immerhin einen echten Blondinenwitz als Generalsekretärin leistet. Jürgen W. Möllemann entpuppt sich dagegen mittlerweile als eher laue Witzfigur, und Guido „mobil“ Westerwelle findet auch niemand mehr zum Lachen. Die Regierungsparteien verfügen mit der Grünen Claudia Roth zwar über eine ausgewiesen komische Gurke. Andererseits hat die SPD mit dem Rausschmiss ihrer Witzgranate Herta Däubler-Gmelin bewiesen, dass sie ab sofort keinen Spaß mehr versteht. Ob allerdings Edmund Stoiber binnen einem Jahr die zuständige Humorführungskraft sein wird, ist mehr als fraglich. Die Ankündigung des Altkanzlerkandidaten, als Zeichen seiner Solidarität demnächst mal einen Witz zu erzählen, hilft den Betroffenen mit Sicherheit nicht weiter. FRITZ TIETZ