In Lohn und Brot mit Steiner

Auf dem anthroposophischen Arbeitsmarkt gibt es noch zahlreiche Jobs. Bei der Auswahl der Bewerberist die berufliche Qualifikation meistens wichtiger als das Bekenntnis zu den Lehren von Rudolf Steiner

Wer nach einem Einstieg ins Berufsleben oder nach Alternativen sucht, hat es mit einer anthroposophischen Vorbildung leichter – allerdings nur in wenigen Berufsfeldern. „90 Prozent aller Anzeigen, die geschaltet werden, betreffen Pädagogen, Erzieher oder Therapeuten“, sagt Hendrik Vollrath, zuständiger Anzeigenleiter der anthroposophisch orientierten Zeitschrift Info 3. Nach seinen Angaben haben die Stellenangebote im Zuge der allgemeinen Wirtschaftsflaute auch für Anthroposophen „stark nachgelassen“. Gleichzeitig würden Unternehmen manchmal fünf- bis sechsmal eine Anzeige aufgeben, um einen geeigneten Kandidaten zu finden.

Dass es nicht einfach ist, anthroposophisches Fachpersonal zu finden, bestätigt Volker Kionke, Leiter der Waldorfschule Mitte in Berlin. Am liebsten würde er nur fertig ausgebildete Waldorflehrer einstellen. Da diese aber kaum verfügbar seien, müsse er Kompromisse eingehen. „Unabdingbar ist eine wissenschaftliche Ausbildung. Die verlangen die staatlichen Genehmigungsbehörden“, so Kionke.

Es müsse aber nicht unbedingt eine staatliche Lehrerausbildung sein. „Wichtig ist vor allem Lebenserfahrung, egal in welchen Feldern.“ Lehrern, die nur das erste oder zweite Staatsexamen mitbringen würden, steht er skeptisch gegenüber, weil ihnen oft die „innere Haltung“ zum pädagogischen Programm von Waldorfschulen fehlen würden.

„Staatlich geprüfte Lehrer haben eine andere Blickrichtung auf die Pädagogik“, fasst er zusammen. Und es sei „der Not geschuldet“, dass er Arbeitskräfte akzeptiere, die eine anthroposophische Ausbildung berufsbegleitend absolvieren. Zugleich bekomme er mehr Stellengesuche auf den Tisch als er brauche. Während Kionke eine berufsbegleitende anthroposophische Schulung als Notbehelf ansieht, erhebt sie Horst Ring, Geschäftsführer der Ring Media Agentur, die www.StellenmarktAnthroposophie.de betreibt, in den Stand eines manifesten Trends. „Berufsbegleitende Ausbildungen in anthroposophischer Menschenkunde sind ein Zeichen unserer Zeit. Insbesondere Schulen könnten dichtmachen, wenn sie nicht auf dieses Pferd setzen.“

Laut Ring haben Anthroposophen in den vergangenen Jahren einen kontinuierlich wachsenden Arbeitsmarkt für sich nutzen können. „Ich habe den Eindruck, dass sich zunehmend anthroposophisch indifferente Menschen aus arbeitsmarktpolitischen Gründen für die Lehre von Steiner interessieren“, so der Experte. Allerdings seien die beruflichen Anforderungen in der Anthroposophie höher als in vergleichbaren konventionellen Arbeitsstellen. Sei es die Betonung des Künstlerisch-Handwerklichen, die Selbstverwaltung oder das Suchen des Ausgleichs im Gespräch – Mehrarbeit bedeute es auf jeden Fall. „Dies schreckt viele ab“, so Ring.

Davon weiß auch Uwe Scharf vom Altenheim Haus Aja Textor-Goethe ein Lied zu singen. Altenpfleger seien schwer zu bekommen. „Ein echter Mangelberuf, besonders in Ballungsräumen“, so der Geschäftsführer. Die in der Bundesrepublik existierenden 25 anthroposophischen Altenheime hätten mehrheitlich Schwierigkeiten, Personal zu finden, weil es nur zwei Ausbildungszentren gebe. Doch dieses Problem haben staatliche Altenheime auch. Vereinzelt arbeiten Anthroposophen in Bereichen, die man zunächst nicht mit der Lehre Steiners in Verbindung bringt. Dieses Segment ist jedoch in den letzten Jahren kleiner geworden, heißt es bei www.infostelle-amthor.de.

„Früher suchten Unternehmen aus Landschaftsgestaltung, Handel und Verkauf oder Möbelbranche ganzheitlich denkende Mitarbeiter, heute tun dies fast ausschließlich soziale Einrichtungen“, sagt Michael Amthor, dessen Infostelle sich nicht nur auf anthroposophische Stellenangebote beschränkt. „Wer offen für Neues ist, kreativ denkt und einen sanften Umgang mit der Natur als Wert ansieht, hat auch ohne anthroposophische Kenntnisse Chancen. Die berufliche Qualifikation ist allemal wichtiger als die Kenntnis der Texte Steiners“, so Amthor.

TILMAN VON ROHDEN