Gute Siegeschancen für Rechtsextreme

Im französischen Vitrolles, Polit-Labor der rechtsextremistischen Front National, wird ein Bürgermeister gewählt. Das Ehepaar Mégret hat beste Aussichten. Ihnen kommt zugute, dass die Sozialdemokraten mit zwei Kandidaten antreten

PARIS taz ■ Wer wissen will, wie man Rechtsextreme am besten an der Macht hält, sollte sich Vitrolles anschauen. In der provençalischen Stadt wird morgen – und bei der Stichwahl Anfang Oktober – schon wieder einE BürgermeisterIn gewählt. Und schon wieder hat das rechtsextreme Ehepaar Mégret, das seit 1995 an der Spitze des Rathauses sitzt, Chancen auf den Sieg.

Bedanken können sich die Mégrets, die wegen rassistischer Politik verurteilt worden sind und gegen die wegen Hinterziehung öffentlicher Gelder ermittelt wird, bei den Sozialdemokraten. Denn die ziehen mit zwei konkurrierenden Männern in die Wahl. Der eine, Dominique Tichadou, stammt aus der örtlichen Linken und ist in jenen Grüppchen aktiv, die der rechtsextremen Kommunalpolitik die Stirn bieten. Der andere, Guy Obino, Arzt und bereits Rathausmitarbeiter in Vitrolles, ist der Anführer der offiziellen sozialdemokratischen Liste. Er wurde von der PS-Zentrale in Paris bestimmt und wird auch von den Grünen und den KommunistInnen unterstützt – offiziell. Daneben tritt ein Konservativer an.

Vitrolles ist eine „neue Stadt“. Gebaut längs einer Ausfallstraße von Marseille – direkt neben den Anlagen der petrochemischen Industrie. Von 1.000 EinwohnerInnen Ende der 70er-Jahre ist sie auf 40.000 angewachsen. Bis Mitte der 90er-Jahre haben die VitrollaisEs links gewählt. Dann kam die Krise der örtlichen Industrie, eine Korruptionsaffaire im sozialdemokratischen Rathaus. Dann die erste Schmutzkampagne des Ehepaars Mégret.

Die Stadt fiel den Rechtsextremen in den Schoß. Nachdem Monsieur von einem Gericht für unwählbar erklärt wurde, übernahm Madame das Ruder. 1997 bekam die Strohfrau 54 Prozent der Stimmen. Unter den vier rechtsextrem regierten Städten Frankreichs war Vitrolles damals die einzige mit absoluter Mehrheit. Vitrolles wurde das Politiklabor der Front National.

Dort führten die Mégrets eine Baby-Prämie für „französische Kinder“ ein, ließen ein multikulturelles Musikzentrum zumauern, schlossen das kommunale Kino und Jugendzentren und stockten die Gemeindepolizei von 40 auf 150 Männer auf, die keinen Hehl aus ihren rechtsextremen Sympathien machen.

Der Niedergang der Mégrets begann mit der Spaltung der Front National 1998. Damals folgte zwar die „Intelligentsia“ der Bewegung Bruno Mégret, doch bei den Präsidentschaftswahlen 2001 schaffte er nur 2 Prozent (in Vitrolles 29) – gegen 19 Prozent für Le Pen. Der nächste Tiefschlag war der Attentatsversuch gegen Präsident Chirac im vergangenen Juli. Der Schütze ist ein ehemaliger Kader aus Mégrets Partei MNR. Kurz darauf erklärte der Staatsrat die Kommunalwahl von Vitrolles für ungültig. Anlass: ein Flugblatt, in dem ein Gegenkandidat der Mégrets beschuldigt wurde, einen Obdachlosen sexuell missbraucht zu haben. DOROTHEA HAHN