In der Minestrone ertrunken

Mehr als heiße Luft: Das Quartett Fön bringt Literatur und Musik so zusammen, dass dabei Comedy, Poetry Slam und Popballade fusionieren. Musiziert wird auf Trompete, Bratsche und Gitarre, aber auch mit trockenen Brötchen

In Berlin ist es föner als anderswo. Mit nordalpinen Fallwinden kann die Hauptstadt zwar nicht prahlen, und auch die Zahl der Haartrockner ist hier wahrscheinlich nicht höher als im Rest der Republik. Doch das gibt's nur an der Spree: Fön. Das Quartett aus Bruno Franceschini, Tilman Rammstedt, Florian Werner und Michael Ebmeyer hat sich für seine Auftritte ein ambitioniertes Ziel gesetzt: „Wir wollen euer Fön sein“. So ähnlich, wie der Heißluftpropeller im Frisörsalon das Haar zur Dauerwelle verquirlt, fusionieren die vier Multitalente Texte und Musik zu einer neuen Daseinsform. Lyrik und Kurzprosa in deutscher und gelegentlich italienischer Sprache, komisch, kompakt, merkwürdig, bilden die Grundlage. Arbeitsteilig gesungen oder zur Musik gesprochen, rangieren die Stücke irgendwo im Fusionsbereich von Comedy, Poetry Slam und Popballade.

Da wacht das lyrische Ich schon mal mit der Hüftprothese von Therese im Mund auf, Amateur-Geiselgangster verfahren sich in einem Road-Movie auf der Straße von Chicago nach Neapel, und vampirjagende Großmütter ertrinken in Minestroneschüsseln. Musikalisch setzen sich die Arrangements aus Keyboard, Gitarren, Saxophon, Bratsche, Trompete, Tonwahlsimulatoren, trockenen Brötchen und anderen Percussion-Instrumenten zusammen. Stilistisch landet Fön damit dann in der Schnittmenge von Jazz, Pop, Chanson und Minimalismus.

Auf jeden Fall bietet Fön auf der Bühne mehr als heiße Luft: denn erstaunlicherweise finden neue Literatur und Musik hier tatsächlich einmal zusammen. Genau wie die Fön-Künstler, denen die Arbeit eine Menge Spaß zu machen scheint. Ebenso wie dem Publikum. Nachdem vor gut einem Jahr erstmalig im „Haus der Sinne“ in Prenzlauer Berg „Texte an Musik“ gebracht wurden, fönte sich die Haartrockner-Kombo zwischenzeitlich nicht nur durch den Kiez, sondern auch durch konkurrierende Metropolen wie München, Basel oder Tübingen. In letzterer Weltstadt haben die vier übrigens mal studiert, bevor sie sich in Richtung Berlin aufmachten und „zufällig“ dort wiedertrafen.

Aber wer glaubt schon an Zufälle? Bestimmt nicht Fön-Frontmann Bruno Franceschini. Der Italiener mit deutschem Großvater arbeitet als Übersetzer, Koch, Italienischlehrer sowie Lebensberater und ist Redakteur des Underground-Fanzines MeinGottWalter. Jenseits der Fön-Auftritte tummelt sich Franceschini regelmäßig auf der Lesebühne Visch & Ferse. Dort ist auch Tilman Rammstedt Dauergast, im letzten Jahr bekannt geworden als Gewinner des Open Mike der Pankower Literaturwerkstatt. Florian Werner dagegen kommt eher aus der Sparte Poetry Slam, hat aber auch Erfahrungen mit Regiearbeit und Filmmusikproduktion. Michael Ebmeyer schließlich hat nach dem Erzählband „Henry Silber geht zu Ende“ gerade seinen ersten Roman veröffentlicht: „Plüsch“. Den wird er im Scotch & Sofa präsentieren, bevor dann gemeinsam losgefönt wird.

In „Plüsch“ erzählt Ebmeyer die Geschichte junger Helden am Ende des 20. Jahrhunderts, die vor allen Dingen eines gerne wären: erfolgreich. Dafür würden sie sogar über Leichen gehen, zur Not auch über ihre eigenen. Doch nicht nur fürs Extreme sind sie dann leider viel zu unkonzentriert, irgendwie klappt zunächst mal überhaupt nichts. ANSGAR WARNER

Fön tritt um 19 Uhr im Scotch & Sofa auf