Cheerleader sein!

Lächeln, Haar schütteln, lächeln, auch wenn es keiner mehr verlangt. „Berlin Thunder“ hat seine neuen Football-Cheerleaderinnen gekürt

von STEFAN KUZMANY

Auf der Bühne steht Carola, sie ist die Moderatorin, und sie sagt: „Heute Abend geht es nur um eines: um 55 junge Frauen.“ Das klingt einleuchtend, schließlich ist das hier die Endausscheidung der Bewerberinnen für das Cheerleader-Team der Football-Mannschaft „Berlin Thunder“. Aber was Carola sagt, stimmt trotzdem nicht.

Es geht natürlich um etwas ganz anderes heute Abend: Um halbseidene Wichtigkeit. Das rote VIP-Bändchen fürs Handgelenk gibts am Eingang. Aber nicht für alle, nur für solche, die festen Schrittes an der langen Schlange der Wartenden vor dem Stella-Musiktheater vorbei schreiten. Den VIP-Bereich bewacht ein Schrankmann, ohne rotes VIP-Bändchen müsste man sich an ihm vorbei tackeln oder wie das im Football heißt.

Und darum geht es: Der Nachtclub „Adagio“ ist gestaltet wie ein mittelalterliches Gemäuer. Die kleine Apfelschorle kostet hier vier Euro. Die muss man aber als VIP nicht bezahlen, denn als VIP bekommt man Verzehr-Bons von Berlin Thunder, vier an der Zahl, jeweils fünf Euro wert.

An der Bar steht ein Mann mit kariertem Hemd zum Sakko und stark geschminkter Begleiterin. Jetzt sieht er zu, wie er das Beste aus dem Abend herausholen kann. Eigentlich wollten die beiden Campari Orange trinken, aber Campari Orange steht nicht auf der Abendkarte und müsste deshalb mit echtem und nicht mit Berlin-Thunder-Spielgeld bezahlt werden. „Da nehmen wir doch lieber etwas anderes“, sagt der Mann und bestellt sich kurzerhand ein Radeberger. Seine Begleiterin wählt eine Pina Colada, was in Kombination mit dem Pils ein weiteres Problem aufwirft: Zusammen kosten diese Getränke zwölf Euro, gibt man dafür drei Gutscheine, sind drei Euro dahin. Also besser zwei Euro in bar zugeben? Der Mann zögert: „Da muss ich erst mal überlegen, wieviel ich trinke. Oder wieviel du trinkst. Wieviel trinkst du?“, fragt er seine Begleiterin. Doch dann kramt er schon ein Zwei-Euro-Stück heraus.

Wo solche Summen im Spiel sind, kann auch mal was passieren, und wohl deshalb geht ein sehr korpulenter Mann in einem dunklen Anzug umher und hat alles im Blick. Er hat ein Kabel im Ohr stecken wie einer vom Secret Service, aber um den amerikanischen Präsidenten zu bewachen, wäre er vermutlich zu dick.

Die Herren hier tragen das Haar kurz, sehr kurz, mit einem Schuss Gel nach hinten gekämmt und/oder igelhaft aufgestellt, ähnlich dem kürzlich mal wieder verurteilten Schauspieler Martin Semmelrogge. Der ist aber nicht da, deshalb gibt es nur die Mitglieder der aus so genannten Prominenten bestehenden Jury zu bewachen. Sie setzt sich zusammen aus zwei MTV-Moderatoren, einem Rudersportler und Amber Wisneski, der US-amerikanischen Cheerleader-Trainerin von „Berlin Thunder“. Die Jury entscheidet, welche der Mädchen, die nun in Vierergruppen ihre tänzerische Kunst darbieten, im kommenden Jahr Cheerleader sein dürfen. Was also genau muss man tun, um Cheerleader zu sein?

Man stellt sich mit dem Rücken zum Publikum, das rechte Bein leicht nach außen versetzt, die linke Hand am Gesäß. Dann startet die Musik, für jede Gruppe derselbe kurze Clip mit stampendem Rhythmus, in welchem eine hohe Frauenstimme davon singt, dass sie „real“ sei. Dazu ist im Takt mit dem Gesäß zu wackeln. Dann umdrehen, das möglichst lange Haar schütteln und die Beine wie zum Spagat spreizen, allerdings nicht ganz so weit. Den Oberkörper nach vorne beugen, dann den Kopf zurückwerfen, das Haar wieder schütteln und so fort.

Vierzehn Gruppen hopsen so auf die und von der Bühne. Danach gibt es eine kleine Pause, in welcher die von der Jury festgestellten Punktzahlen geordnet werden. Dazu erklingt das Lied „It’s Raining Men“ von den Weather Girls, das über viele Jahre nichts von seiner Anziehungskraft auf junge Frauen eingebüßt zu haben scheint. Von einer der wenigen, die dazu nicht tanzen, kann man immerhin erfahren, dass es nicht nur ein Vergnügen ist, Cheerleader zu sein. Ihre Freundin sei schon die zweite Saison dabei, mit Männern habe sie keine guten Erfahrungen gemacht. Das Wort „Frischfleisch“ fällt. Just in dem Moment fällt der Blick auf einen kleinen, bulligen Mann, Typ Klaus Löwitsch, der da in einer Ecke sitzt mit einer Lederjacke an und einer Kamera in der Hand, neben sich ein sehr, sehr junges Mädchen in einem sehr, sehr offenherzigen Kleid, und jetzt beugt er sich gerade hinüber, um zuzugreifen, blickt sich aber nochmal um und sieht, dass er beobachtet wird.

Amber muss jetzt auf die Bühne, denn Carola, die Moderatorin, verliest jetzt die Namen der Gewinnerinnen. Die werden in Zukunft 51,50 € pro Auftritt verdienen. Die Verliererinnen werden diskret von der Bühne geholt. Noch im Hinausgehen lächeln sie, obwohl es längst schon niemand mehr von ihnen verlangt.