Das erste Buch Michiob

In dem der gottgefällige Michiob mit seinem satanischen Nachbarn kämpfet

1, 1 Es war ein Mann im Lande Schröders mit Namen Michiob. Er fürchtete Gott und beschrieb das Böse in Zeitungsartikeln. 2 Eines Tages geschah es, da sprach Satan zu Gott: „Das Werk seiner Hände hast Du gesegnet. Doch strecke einmal Deine Hand gegen seine Ruhe aus, er wird Dir ins Angesicht fluchen!“ 3 Da sprach Gott zu Satan: „Siehe, er ist in deine Hand gegeben. Nur gegen ihn selbst darfst du deine Hand nicht ausstrecken.“ 4 Und Satan ging vom Angesichte Gottes fort.

2, 1 Eines Tages hielt Michiob Mahl und trank Wein. 2 Da las er im Amtsblatt eine Botschaft: „Michiob, dein Nachbarhaus wurde verkauft, auf dass darin gehaust würde. 3 Frank Wensche ist der Name deines neuen Nachbarn. Er liebt die Abwesenheit von Kälte und Ruhe. Und er ist gekommen, um deinen Alltag zu verschlechtern. 4 Sein Weib, die Kirstin, kann lachen wie eine Hundertschaft angetüterter Jecken auf Betriebsausflug. 5 Frank aber spielt dazu voll Karacho auf dem Privatradio. 6 Erst lärmen und raufen sie, dann paaren sie sich, dann kotzen sie aus dem Fenster.“ 7 Kaum eingezogen, ließ Satan die Nachbarn sich vermehren und ihnen lärmende Kinder in der Anzahl ihrer Gartenbambushalme zuteil werden. 8 Dann ließ Satan sie einen Köter kaufen. Dieser hatte die Nachtbell-Prüfung mit „Auszeichnung“ bestanden. 9 Tags darauf ließ Satan für Frank Wensche 97 stimmbrüchige Ziervögel werden, um die restliche Stille von der Erde zu tilgen, 10 und ihnen ward ein wackliger Verschlag neben dem Grillplatz „Insel der Gemütlichkeit“ errichtet.

3, 1 Da erhob sich Michiob schwitzend, zerriss sein Obergewand, schor sein Haupt nach Art der Trauer und bewarf das Nachbargrundstück mit Äpfeln. 2 Er warf sich zur Erde, dann sprach er: „Gott hat gegeben, Gott hat genommen; der Name Gottes sei gepriesen.“ 3 Bei alledem legte er Gott nichts Törichtes zur Last.

4, 1 Eines Tages geschah es, da trat Satan abermals vor Gott: „Michiob ist untadelig und meidet das Böse. Doch strecke einmal Deine Hand aus und rühre an seine schöne Aussicht und die Liebe zur Frischluft. Wahrhaftig, er wird Dir ins Angesicht fluchen.“ 2 Da antwortete Gott und sprach: „Wohlan, er sei in deiner Hand. Nur schone sein Leben.“ 3 Und Satan ging vom Angesichte Gottes fort.

5, 1 Da ließ Satan Frank Wensche alle Linden auf seinem Grund absägen mit dem dezibelstarken Profimodell „Privileg“. 2 Einen Billighäcksler Marke „Rommel GH2400“ ließ er ihn kaufen, der nicht funktionierte und die Späne wie Fontänen durch die Gegend schleuderte. 3 Dann ließ Satan ihn bergeweise nasses und verfaultes Lindenholz verbrennen, dass ein dicker Stinknebel über das Land kam.

6, 1 Da sagte sein Weib zu Michiob: „Wir sehen nichts mehr. Und der Gestank dieser Schweinebande ist unerträglich. Hältst du immer noch an deiner Makellosigkeit fest? Fluche Gott und komm endlich aus der Hüfte!“ 2 Er aber erwiderte ihr: „Wie eine törichte Frau spricht, so redest du. Wenn wir das Gute von Gott annehmen, warum nicht auch das Böse? 3 Andererseits könnte man dieser Bagage wirklich mal einen Einlauf machen.“ Trotzdem sündigte Michiob nicht. 4 Die drei Freunde Michiobs hörten von seinem Unglück. Sieben Tage und Nächte saßen sie neben ihm auf der Erde, und keiner sprach ein Wort zu ihm. Denn sie sahen, dass sein Schmerz groß war. 5 Danach öffnete Michiob seinen Mund und verwünschte den Tag seiner Geburt: „Ja, dieser Tag, er werde Finsternis!“ 6 Da gab Gott Antwort aus einem Gewittersturm und sprach: „So ein Quatsch! Wer ist es, der den Weltenplan verdunkelt mit Worten, denen die Erkenntnis mangelt?“ 7 Da sprach Michiob: „Ich bin’s, Chef. Ich weiß nun, dass Du alles kannst und kein Gedanke Dir unmöglich ist. Aber: mich kotzt das alles an. Lass die Nachbarn dumm oder hässlich sein, lass sie Krach oder Gestank verbreiten oder die Außenwandfliese ‚Naxos‘ anbeten. Aber nicht alles zusammen. Wie soll ich da meine Artikel schreiben?“ 8 Noch stundenlang zählte er auf, was er zu Ehren Gottes verrichten wolle, bis er entkräftet niedersank.

7, 1 Als Michiob aufwachte, fand er seinen Feind untätig; Kirstin hielt ihr Maul auch nach einer Stunde und hält es noch. 2 Auch das innovative Gartengerät bleibt ungenutzt. Stille. 3 Des Köters Maul wie mit Draht umwickelt, die Vögel verschwiegen. 4 Auch Bratwurstsmog und den sauren Klang des Privatradios muss Michiob nicht mehr erdulden. 5 Wensches ruhen in Kältestarre, denn Gott hat eine deutliche Abkühlung geschickt. 6 Da kniete Michiob nieder und brachte dem Herrn ein Brandopfer dar aus drei Tüten „Ahoi“-Brausepulver und sieben mal fünf Euro Papiergeld. 7 Das war dem Herrn ein Wohlgefallen, und er drehte Satan eine Riesennase. 8 Den Michiob aber ließ er wieder nach Herzenslust Leihvater und Sternenbold spielen. 9 Sein Weib durfte endlich mal Mietbischöfin sein und nebenbei einen gescheiten Bürgermeister inthronisieren, der alle, die da Wensche heißen, in die Hölle umsiedelt – beziehungsweise nach Schwäbisch Gmünd.

MICHAEL RUDOLF