Fest der Schreihälse und Krakeeler

Der Ryder Cup bietet vielfältige Arten der Jubelkunst und ihrer Interpretation. Mann gegen Mann entscheidet sich das ausgesprochen emotionale Duell. Vor den finalen Schlägen am Sonntag lag Europa gegen die USA in Führung

aus Birmingham BERND MÜLLENDER

Ryder-Cup-Matches muss man nicht sehen, man kann sie mit den Ohren aufsaugen, den Klang schmecken und mit schnell erlernbarer Kunst der Interpretation ahnen, was passiert ist. Auf dem The De Vere Belfry Golf Course haben Erfolg und Misslingen ihren Klang. Es ist nicht einfach Golf, sondern Ryder Cup – und da geht es akustisch zur Sache: Quer aus allen Richtungen schlagen einem alle paar Minuten Jubelschreie, Entsetzen und Höflichkeitsapplaus entgegen. Nach den jeweils acht Doppeln von Freitag und Samstag sowie den gestrigen sechs von zwölf Einzeln stand es 12,5:9,5 (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet). Für den heftigsten Europatriotismus hatte der Schotte Colin Montgomerie (39) gesorgt, der 4,5 von 5 Punkten erzielte, davon 2,5 mit Teamsenior Bernhard Langer (45) als Euroopaduo.

Eine wahre Sinfonie des Gebrülls lösten Tiger Woods mit seinem dritten Turnierpartner Davis Love und die Kombination Sergio Garcia/Lee Westwood aus. Die beiden Europäer führten nach dem drittletzten Loch und gaben das Match noch verloren, weil beide je einen Einmeterputt vorbeischoben. Wäre Mozart Golffreund gewesen, er hätte aus dem Entsetzenroar und den spitzen Sopranschreien ein neues Requiem komponiert.

35.000 Zuschauer beim Ryder-Cup-Showdown können eine Menge Krach machen, vor allem wenn sich das Geschehen, wie bei den Doppeln, auf gerade mal vier Paare verteilt. Jubelaufschrei ist indes nicht Jubelaufschrei. Da gibt es den lauteren der Europafans und den der wenigen, aber halsstarken US-Sympathisanten: Der erste ist dumpfer, heftiger und scheint aus einem mehrtausendfachen „Yeeaaaah“ zu bestehen. Der US-Jubelschrei ist kürzer, eruptiver, gern gefolgt vom kleinen spitzen, oft gekreischten „Yes!“. Beide kommen gern aus der völligen Stille.

Der US-Jubel will einem aggressiver erscheinen, aber zugegeben: das kann von Vorurteilen geprägt sein und auch historisch bedingt, wenn man sich an die 1999er-Brüllattacken der Neuweltler jenseits aller Fairness in Boston erinnert. Wer irgendwo auf dem Platz fernab des Geschehens ist, den erwischt das Brüllen aus dem Nichts. Manchmal sieht man auch einen dramatischen Putt auf einer Videowand, alles tobt und genau ins Abklingen kommt nach zwei Sekunden die Stoßwelle vom wirklichen Geschehen herübergeweht.

Mit den Tagen wächst die Routine zu unterscheiden: War das eben die Aufwallung für eine Landung aus großer Distanz, sensationell nahe der Fahne oder etwa ein schöner langer Putt, der versinkt? Die Reaktion auf solch einen Monsterputt kommt oft einem Torschrei beim Fussball nahe. Er darf aber nicht verwechselt werden mit dem anschwellenden Orkangeräusch. Diese Subform der Begeisterung, die gern lange auf gleichem Niveau bleibt und mit Einzelschreien gemischt ist, gilt meist dem Abgang der Helden nach gewonnenem Loch.

Eine weitere Subspezies ist der Erleichterungsjubel, wenn wenigstens das Teilen des Lochs geschafft wurde; hier hat der Brite sogar einen eigenen Begriff: „Safe Cheer“, also so etwas wie den Sicherheitsjubel. Im Laufe des dritten Tages ist das Hördiplom nah: Man erkennt den Putt von Langer aus 400 Metern, ahnt das freundlich umjubelte, aber ungegönnte Eagle des Tigers und weiß aus der Richtung des Aufstöhnens zu deuten, ob Harrington oder Parnevik eingelocht hat. Insofern ist Golf auch ein Sport für Blinde. Die glücklich Sehenden können an den Anzeigetafeln dann verfolgen, ob sie das Ergebnis richtig erhört haben. Aber da kommt manchmal doch eine unerwartete Meldung. Dann muss man sein Golferblindsein doch noch weiter verfeinern.

Eine akustische Spezialität ist jeden Morgen das Auftaktgebrüll, wenn die Golfmillionarios aus dem Clubhaus durch ein Zuschauerspalier auf die grünen Wiesen schreiten. Gestern Mittag, vor den entscheidenden zwölf Einzeln, war es nochmal wilder, enthusiastischer als sonst. Der erste Jubelschrei des Tages gehörte erneut Colin Montgomerie, dem Liebling der Massen, der als erster Europastarter sogleich das erste Loch gewann. Ein Crescendo sollte folgen.