„Die Grünen haben die FDP beerbt“

Die Grünen sollten nicht nur ihre ökologischen Kernthemen bearbeiten. Die Partei muss den SPD-Tanker in Richtung Deregulierung des Arbeitsmarktes und Entbürokratisierung lotsen, meint Ralf Fücks, Chef der Heinrich-Böll-Stiftung

taz: Herr Fücks, Rot-Grün hat erstmals als Koalition eine Wahl gewonnen. Trotzdem herrscht eine geschäftsmäßige Atmosphäre. Richtig?

Ralf Fücks: Finde ich nicht. Selbst ein knochentrockener Zeitgenosse wie Franz Müntefering spricht doch von „rot-grüner Ära“. Die Koalitionsverhandlungen werden der Lackmustest, ob es diesmal wirklich gemeinsame, langfristige Ziele gibt.

Der erste Lackmustest ist die Steuerdebatte. Welche Steuererhöhungen sind sinnvoll?

Steuererhöhungen sind nicht der Königsweg zur Sanierung der öffentlichen Finanzen. Dafür brauchen wir eine größere wirtschaftliche Dynamik, weniger Arbeitslose und eine nachhaltige Begrenzung der Ausgaben.

Dennoch: Die SPD will die Vermögenssteuer wieder einführen und die Erbschaftssteuer erhöhen. Ist das richtig?

Das hängt von den Freibeträgen ab. Der Mittelstand sollte nicht weiter gebeutelt werden. Alternativen wären eine Mindeststeuer auf Unternehmensgewinne, um die Schieflage bei der Körperschaftssteuer zu korrigieren, und die Wiedereinführung der Steuern auf Beteiligungsverkäufe von Großunternehmen.

Die SPD hat klar gemacht, was nicht geht: neue Ökosteuer, Abschaffung der Wehrpflicht. Werden die Grünen am Ende mit leeren Hände dastehen?

Nein. Die SPD wird nicht ignorieren können, wer die Wahl für die Koalition gewonnen hat: die Grünen. Eine Botschaft dieses Wahlergebnisses lautet, dass Rot-Grün die Verbindung von Ökonomie und Ökologie schaffen muss. Wir müssen die Lohnnebenkosten drücken und den Ressourcenverbrauch senken. Das geht nicht ohne moderate Erhöhung der Ökosteuer.

Ökosteuer sagen die Grünen aber nur noch ganz leise. Warum?

Sie sollen ihr Programm selbstbewusst vertreten. Dazu gehört auch die Weiterführung der ökologischen Steuerreform. Aber Kriegsgeschrei gegen die SPD brauchen wir nicht.

Viele Reformen der letzten vier Jahre waren – vom Atomausstieg zur Homoehe – grüne Ziele. Die fehlen nun. Wie bleiben die Grünen erkennbar?

Indem sie vor allem zwei Felder bearbeiten. Erstens: Fortsetzung ihrer ökologischen Erfolge Agrarwende, Energiepolitik, Verbraucherschutz. Und zweitens: Arbeitsmarkt und Sozialsysteme. Da müssen die Grünen die strukturkonservative SPD vorantreiben. Hartz weist in die richtige Richtung – aber da fehlt noch viel. Es geht um einen neuen Dreiklang; solidarische Grundsicherung, mehr Eigenverantwortung, mehr Flexibilität. Zum Beispiel steht eine Entbürokratisierung des Arbeitsmarktes an: Das Regulierungsdickicht, an dem Jungunternehmer verzweifeln, darf nicht länger tabuisiert werden. Gleiches gilt für den Subventionsabbau. Da sind die Grünen freier als die SPD …

und unterscheiden sich dann nicht mehr von der FDP.

Keine Sorge. Die Grünen haben die FDP als Bürgerrechtspartei schon beerbt. Jetzt müssen sie darüber hinaus ihr Profil als Partei der ökologischen und sozialen Marktwirtschaft schärfen.

Mehr Eigenverantwortung, mehr Flexibilität, das ist doch originäres FDP-Programm

Einspruch. Eigenverantwortung ist die Kehrseite von Selbstbestimmung – das ist ein urgrüner Wert. Ein entscheidender Unterschied zur FDP ist, dass die Grünen eine solidarische Grundsicherung wollen. Nehmen wir die Rente. Die Grünen wollen, dass, wie in der Schweiz, alle einzahlen, auch Selbstständige und Beamte. So erreicht man eine Armutssicherung für alle. Das ist die Basis für mehr Eigenverantwortung. Das Gleiche gilt für den Arbeitsmarkt: Ohne behutsame Deregulierung wird die Arbeitslosigkeit gerade bei den Unqualifizierten nicht zu reduzieren sein. Das ist nicht unsozial. Das ist eine Politik für Erwerbslose.

Deregulierung senkt die Arbeitslosigkeit, schafft aber, siehe USA, „working poor“.

Das wollen die Grünen nicht. Deshalb sollen im Niedriglohnsektor die Sozialabgaben mit Steuern kofinanziert werden. Je später wir den Arbeitsmarkt flexibilisieren, um so größer wird der Druck Richtung Leistungskürzungen, weil das System unfinanzierbar wird.

Interview: STEFAN REINECKE