Logik auf links gedreht

Zwischending aus Imkerhaube, SM-Maske und Taliban-Burka als Modeaccessoire: Eine Tagung des Berliner Modelabels Catch I behandelte den Schleier als Medium

„Be your own identity“ soll die ganze Labelkultur ad absurdum führen

Seit einer Woche gibt es diesen Showroom in der Spandauer Straße in Mitte, von dem sich seine Betreiber erhoffen, dass er die Stadt aufmischt. Das Modellabel Catch I testet hier Schleier aus Seide und Glasbatist auf ihre Marktfähigkeit. Sein zeitgeistiger, ökologischer und erotischer Mehrwert soll das Zwischending aus Imkerhaube, SM-Maske und Taliban-Burka als Modeaccessoire gesellschaftsfähig machen. Und nun wartet man auf wütende Demonstrationen religiöser Fanatiker oder den fröhlichen Ansturm von interessierten Szenegängern, die sich vom gewagten Verhüllungsstil anziehen lassen.

Arna Vogel, die Initatorin des Projekts, erklärt, dass man mit dem Slogan „Be your own identity“ zugleich „die ganze Labelkultur ad absurdum führen“ wolle. Kein dummer Ansatz. Schließlich haben die meisten Markenfans von Berlin-Mitte ihr „No Logo“ in der Tasche, wenn sie nach sündhaft teuren Klamotten suchen. Konsumzwang, Ironiefähigkeit und Selbstreflexion schließen sich in diesen Kreisen nicht aus, weshalb Vogel hier ihre wichtigste Zielgruppe vermutet. Das Minimalziel von Catch I dürfte es sein, zumindest den Diskurs über Kopfverhüllung ein bisschen anzukurbeln. Zu diesem Zweck lud man am vergangenen Sonntag zu einer kleinen Tagung unter dem Titel „Schleier – Ein Medium“.

Zwar waren die üblichen Verdächtigen der Humboldt-Uni krankheitsbedingt nicht erschienen, aber auch so war ausreichend für Debattenstoff gesorgt. Uwe Steiner, Literaturwissenschaftler aus Mannheim, lieferte einen wilden Ritt durch die Philosophiegeschichte, um dem ständigen Oszillieren des Schleiers zwischen den Polen von Ver- und Entbergen, Anwesenheit und Abwesenheit, Nähe und Ferne auf die richtigen Schliche zu kommen.

Seine gewissermaßen eingenähte Paradoxie, die im bedeckten Moses beim Empfang der zehn Gebotstafeln ihren kulturgeschichtlichen Ausgang nahm, bilde den „Tiefencode unserer Zivilisation“. Seit der Antike sei die nackte Wahrheit immer nur als „verschleiert“ darstellbar gewesen, wie etwa im Mythos des Aktaion, dessen zudringlicher Blick auf die badende Diana ihm den Tod bringt. Nietzsche habe dann in seiner großen metaphysischen Aufräumarbeit den Boden für „neue Verhüllungsverhältnisse“ geebnet.

Die Postmoderne mit ihrem Exzess an medialer Vernetzung habe schließlich zur „puren Oberfläche“ geführt, die ein ständiges Entblößungsbegehren in Gang setzte, wogegen wiederum die Strategie der Verschleierung opponiere.

Stefanie Wenner, Körperphilosophin von der Freien Universität, nahm diesen Faden dankbar auf. Anhand einer Bildbeschreibung von Magrittes „L’invention de la vie“ sammelte sie Indizien dafür, dass das im Schleier enthaltene Wissen um das Verborgene neue Wahrnehmungsweisen befördert. Doch wenn er tatsächlich, wie sie verschmitzt bemerkte, die Logik „wie einen Handschuh auf links“ drehen sollte, ist sicher davon auszugehen, dass er hierzulande schon bald unter das Vermummungsverbot fällt.

JAN ENGELMANN