: Der Wahnmann
Ein wehmütiger Nachruf auf schöne Telefonabende mit Franz Josef Wagner
Als Franz Josef Wagner noch Chefredakteur der Berliner Gossenschrift B.Z. war, machten sich Antagonisten einen Sommer lang den Jux, ihn kurz vor Redaktionsschluss anonym anzurufen, um ihm den haarsträubendsten Blödsinn aufzutischen: Lafontaine ist Mitglied eines Satanistenbundes oder Harald Schmidt ist heroinsüchtig oder Verona Feldbusch ist ein Transvestit.
FJW glaubte alles. Einfach alles. Keine dieser Behauptungen schien ihm dämlich genug, als dass er nicht mit zittriger Stimme begann, um das angebliche Beweismaterial zu feilschen, ohne – und das muss ihm mal jemand nachmachen – das Erniedrigen seiner Untergebenen zu vernachlässigen. 20.000 Mark und mehr waren kein seltenes Angebot. Seinen gepeinigten Mitarbeitern wird es den Atem verschlagen haben, wie der große FJW da am Telefon bettelte und winselte.
Nachdem sich dies herumsprach, gründete sich eine Art FJW-Feierabendclub: gestresste Journalisten der damals expandierenden Hauptstadt-Redaktionen trafen sich in einem Café mit Autoren und Schriftstellern und überboten sich mit Anrufen bei oder Geschichten über FJW. Faszinierend am „Franzel“ war seine Gedächtnisschwäche und Unbelehrbarkeit: manchem ist es gelungen, ihm dieselbe Geschichte dreimal anzudrehen.
Herrlich war es, mit ihm Geld- und Beweismaterial-Übergabeorte auszuhandeln. Denn hier erwies sich der professionelle Wagner-Ärgerer als äußerst launisch: „Och nö, da will ich mich mit Ihnen nich’ treffen, fällt Ihnen denn nich’ was anners ein …“ Und ließ den Deal spätestens hier platzen. Hat Wagner in diesen Sommertagen zum ersten Mal seine Untergebenen geschlagen? Hat er sich in immer schlimmere Chemie-Exzesse geflüchtet? Fing damals alles an, oder hörte es dort auf?
Rachefreudige B.Z.-Mitarbeiter und noch rachefreudigere Ex-B.Z.-Mitarbeiter gesellten sich dazu und lieferten Informationen: „Droh ihm mit Bild!“ Wagner, so sagten sie, hätte Haus und Hof verhökert, um zu verhindern, dass „beweiskräftiges Material“ in die Hände von Bild fiel, der – wie Wagner fand – schärfsten Konkurrenz im Hause.
Also wurde mit der Drohung „Wir können den Kram ja auch an Bild verkaufen“ versucht, sein chemiegeschwächtes Journalistenherz an den Rand des Äußersten zu treiben.
Heute arbeitet FJW von zu Hause aus und schreibt „Kolumnen“ für Bild. Wie zum Hohn für die unter ihm abgestürzte B.Z.-Auflage muss er sich jetzt „Chef-Kolumnist“ nennen lassen. Gewiss ist er zu Hause der chefigste Chef-Kolumnist, den es je gab.
Viel musste geschehen, bis die Häme gegen Wagner ein Ende fand. Erst als FJW die mächtigste Nation der Welt mit einem Taschenmesser bedrohte („Neulich konnte ich mit einem Schweizer Messer, womit ich jedem die Kehle durchschneiden kann, in die USA einreisen …“), hatte Bild, hatten all die Lästerer ein Einsehen. Beschämt vom harten Schicksal dieses Mannes, forderte Bild ihre Leser schließlich auf: „Jetzt können Sie Franz Josef Wagner auch eine E-Mail schreiben: fjwagner@bild.de.“ Widersacher von einst meldeten sich spät, aber schuldbewusst zu Wort. Wagner-Erzfeind Günter Wallraff äußerte unlängst besorgt: „Ich habe oft den Eindruck, dass dieser Mann nicht ganz dicht ist.“
Viele haben weggesehen. Jedoch, es bleibt die Schuldfrage: Einige Journalisten, die Wagner damals zur Weißglut trieben, sind unlängst arbeitslos geworden. Hätten sie die Energie, die sie zum Wagner-Ärgern verwandten, besser seriöser journalistischer Tätigkeit zuführen sollen? Heute müssen sie sich fragen lassen, ob sie es waren, die sich selbst in die rauen Hände Riesters und Wagner in den Wahnsinn trieben. ANDRÉ PARIS
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