Eine Absage an schnelle Reformen

Runde eins der Präsidentenwahlen in Serbien geht an Jugoslawiens Staatschef Vojislav Koštunica. Der hat gute Chancen, mit den Stimmen der Nationalisten die Stichwahl gegen Miroljub Labus zu gewinnen. Geringe Beteiligung könnte Problem werden

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Die serbischen Reformkräfte haben einen Rückschlag erlitten: Bei der Präsidentenwahl am vergangenen Sonntag erreichte der konservative, nationalistisch geprägte Bundespräsident Jugoslawiens, Vojislav Koštunica, rund 31,7 Prozent der Stimmen, sein Widersacher, der liberale Reformator und jugoslawische Vizepremier Miroljub Labus, kam auf 27,7 Prozent. Der Ultranationalist und Führer der Radikalen Partei (SRS), Vojislav Šešelj, liegt mit fast 23 Prozent an dritter Stelle. Alle anderen Präsidentenkandidaten sind weit abgeschlagen, der ehemalige Oppositionsführer Vuk Drašković liegt an vierter Stelle mit knapp 4 Prozent. Labus und Koštunica gehen am 13. Oktober in die Stichwahl.

Die Ursache für die niedrige Wahlbeteiligung, die nur 55 Prozent betrug, und des guten Resultats von Šešelj sehen Beobachter in der „schmutzigen“ Kampagne und den heftigen gegenseitigen Beschuldigungen der zwei demokratischen Kandidadaten Koštunica und Labus. Die „demokratischen“ Wähler seien dadurch verwirrt gewesen und Šešelj habe in dem enstandenen „Vakuum“ mit „demagogischen“ sozialen Parolen im verarmten Serbien erfolgreich für sich werben können, hieß es.

„Die Bürger Serbiens haben gezeigt, dass sie keinen Extremismus wollen“, erklärte Koštunica am frühen Montagmorgen. Nicht nur Šešelj mit seinen antiwestlichen Parolen sei ein Extremist, sondern auch Labus, der ohne Rücksicht auf die schwierige soziale Lage in Serbien alle Forderungen internationaler Finanzinstitutionen „bedenkenlos“ akzeptiert habe. Koštunica gab sich siegessicher. Laut Umfragen hat Labus in der zweiten Runde kaum Chancen. Koštunica kann mit den Stimmen Šešeljs, der anderen konservativen Kandidaten und „aller unzufriedenen Bürger“ rechnen. Seine größte Sorge ist daher nicht Labus, sondern vielmehr der Umstand dass die Wahl in zwei Wochen an einer Beteiligung unter 50 Prozent scheitern könnte.

„Koštunica hat einen Vorsprung von nur 100.000 Stimmen“, gab sich Labus demgegenüber kämpferisch. Zu schnellen Reformen gebe es keine Alternative; diesen Kurs aufzugeben oder zu verlangsamen, würde für Serbien den Untergang bedeuten. Rund eine Million Bürger, die für ihn gestimmt hätten, hätten eingesehen, dass „kurzfristige“ Opfer für eine bessere Zukunft Serbiens notwendig seien. Labus appellierte an seine Anhänger, in zwei Wochen massenhaft zu den Urnen zu gehen, und forderte Koštunica zu einem TV-Duell auf. Sollte die Präsidentenwahl an niedriger Beteiligung scheitern, war im Wahlstab von Labus zu hören, würde das die politische Krise verschärfen.

Die Resultate der ersten Runde der Präsidetenwahl sind besorgniserregend für die prowestliche serbische Reformregierung, die geschlossen hinter Labus steht. Rund zwei Drittel der verarmten Bürger Serbiens haben de facto gegen die schnellen, kompromisslosen Reformen, die Labus verkörpert, gestimmt. Zwei Jahre nach der Wende gibt es in Serbien drei politische Blöcke: die zwei fast gleich starken Koalitionen, die von Koštunica sowie von Serbiens Premier Zoran Djindjić und Labus angeführt werden, und die extrem nationalistische SRS von Šešelj. Die Splitterparteien der Milošević-Sozialisten sind praktisch von der politischen Bühne verschwunden. Vorgezogene Parlamentswahlen scheinen unvermeidbar zu sein. Denn unterstützt von nur rund 27 Prozent der Wähler hält Djindjić derzeit die gesamte Macht in Serbien in seinen Händen.

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