Kapitalismus für Nordkorea

Im tiefsten Kommunismus will ein chinesischer Schwerreicher eine Dollar-Enklave schaffen

aus Peking JUTTA LIETSCH

Jahrzehntelang schien Nordkorea erstarrt – jetzt vergeht kaum ein Tag ohne die erstaunlichsten Meldungen aus dem Reich des „Lieben Führers“ Kim Jong Il. Zu den überraschenden Projekten Nordkoreas gehört eine neue Sonderwirtschaftszone, die in Sinuiju am Yalu-Fluss an der Grenze zu China entstehen soll. Die Regierung in Pjöngjang beauftragte jetzt den 39-jährigen chinesischen Geschäftsmann Yang Bin mit dem Bau einer modernen kapitalistische Enklave, in der nordkoreanische Arbeiter für ausländische Unternehmer produzieren sollen – gegen Dollar.

Wie die Nordkoreaner auf Yang verfallen sind, ist bislang ein Rätsel. Er ist ein schillernder Unternehmer mit holländischem Pass, der vom Magazin Forbes im vergangenen Jahr als zweitreichster Mann Chinas bezeichnet wurde. Ihm schwebt eine goldene Zukunft für diesen traurigen Winkel im Nordosten der Halbinsel vor: Mit ihm selbst als Chefverwalter sollen allein ausländische Investoren die Geschicke der geplanten Enklave bestimmen – 50 Jahre lang ohne Einmischung der Regierung.

Die rund 200.000 Bewohner der Region, meist Soldaten mit ihren Familien, würden innerhalb der nächsten zwei Jahre umgesiedelt und durch 500.000 besser qualifizierte „neue Bürger“ ersetzt, kündigte Yang an. Damit keine schädlichen Einflüsse ins Land dringen, soll eine hohe Mauer Sinuiju abschirmen. Die Fantasie internationaler Firmen beflügelt die Aussicht auf enorme Summen, die möglicherweise bald in das völlig bankrotte Land fließen könnten: So sind zwei Zugstrecken durch Nordkorea geplant, die das südkoreanische Netz mit dem chinesischen und russischen verbinden sollen. Pjöngjang könnte Transitgebühren in Millionenhöhe kassieren, wenn Seoul seine für Europa und China bestimmten Exporte künftig per Schiene durch den Norden transportiert.

Gleichzeitig erhoffen sich die Nordkoreaner von Japan Reparationszahlungen für die Besetzung Koreas zwischen 1910 und 1945 in Höhe von zehn Milliarden Dollar. Fachleute gehen davon aus, dass Tokio mit fünf Milliarden US-Dollar einverstanden sein könnte – was einem Drittel des gesamten Bruttosozialproduktes Nordkoreas im vergangenen Jahr entspräche.

Kim, der sich auch „Genosse General“ nennen lässt, hat in diesem Sommer vorsichtig damit begonnen, seine desaströse Planwirtschaft zu reformieren. Seither strich die Regierung staatliche Subventionen, erhöhte Löhne wie Preise und passte den völlig unrealistischen Wechselkurs des Won zum Dollar an die Schwarzmarktkurse an.

Die Wirtschaft Nordkoreas liegt völlig am Boden. Sie hält sich nur mit Hilfe internationaler Organisationen am Leben, die Dünger, Kraftstoff und vor allem Lebensmittel liefern. Die Maschinen stehen still, Fabriken rosten vor sich hin, es fließt in weiten Teilen des Landes kein Strom mehr, das Transportwesen ist zusammengebrochen, das Benzin knapp. Mit Devisen aus dem Ausland müsste die Regierung die gesamte Infrastruktur erneuern.

Nordkoreanische Funktionäre, Wirtschaftsfachleute und Techniker sind in den letzten Monaten zu Hunderten ins Ausland gereist, um zu studieren, wie Behörden, Banken und Börsen funktionieren. So besuchte zum Beispiel eine 20-köpfige Delegation im Mai dieses Jahres mehrere bayerische Unternehmen. Das Interesse an deutscher Technik und Produkten sei groß, heißt es. Eine zehnköpfige Kaufmannsdelegation des Ostasiatischen Vereins (OAV) kam vor einigen Tagen „positiv beeindruckt“ und mit einigen Aufträgen aus Pjöngjang zurück. „Wir konnten diesmal sogar persönliche Worte mit unseren nordkoreanischen Partnern wechseln, was früher unmöglich war“, berichtet ein Teilnehmer.

Allerdings macht sich kaum jemand Illusionen darüber, dass sich Nordkorea schnell zu einem normalen Land entwickeln wird. Zunächst muss Pjöngjang seine alten Schulden in Höhe von mindestens 250 Millionen Euro begleichen. Die Regierung des „Arbeiterparadieses“ hatte es in der Vergangenheit oft unter ihrer Würde gefunden, ausstehende Rechnungen zu bezahlen. Ein Umschuldungsabkommen zwischen Berlin und Pjöngjang ist wiederum Voraussetzung für Hermesbürgschaften, mit der deutsche Unternehmen ihre Geschäfte absichern können.

Die Deutschen sind größte Handelspartner Nordkoreas außerhalb Asiens. Bislang hat es jedoch nur eine einzige deutsche Firma, die Helm AG, gewagt, eine Repräsentanz in Pjöngjang zu eröffnen. Sie vertritt eine Gruppe von sieben mittelständischen Unternehmen. Internationale Finanzinstitute wie Weltbank und Asiatische Entwicklungsbank sind bislang noch nicht in Nordkorea vertreten. Sie brauchen zunächst grünes Licht aus Washington. US-Präsident George W. Bush betrachtete Nordkorea bis vor kurzem allerdings als Teil der „Achse des Bösen“.

So stammen die meisten Investitionen in Nordkorea aus Südkorea und Taiwan. Hinter ihnen stehen oft Auslandskoreaner, die ihre Landsleute unterstützen wollen. Einige Unternehmer hoffen, mit Hilfe von Freunden in der nordkoreanischen Elite das schnelle Geld machen zu können – wie der zwielichtige Südkoreaner Kim Beom-Hoon, der jüngst in Pjöngjang ein Internetlotto aufzog.