Peter Glotz gegen „soziales Europa“

Vertreter der Bundesregierung im Konvent unterstützt Forderung nach Arbeitsgruppe über EU-Sozialrechte nicht

BRÜSSEL taz ■ Der Sprengstoff verbirgt sich in acht harmlos klingenden Zeilen: „Zahlreiche Debattenbeiträge im EU-Konvent hätten gezeigt, dass unter den Mitgliedern das Bedürfnis bestehe, über die soziale Komponente der Union zu sprechen.“ Die Unterzeichner beantragen deshalb eine Plenardebatte und eine Arbeitsgruppe „soziales Europa“. Sechsundvierzig Namen stehen auf der angehängten Unterschriftenliste. Einer der Unterzeichner, der Vertreter der deutschen Bundesregierung im Konvent, Peter Glotz, hat seine Unterschrift aber inzwischen zurückgezogen.

Der Autor der Initiative, der grüne Konventsdelegierte Johannes Voggenhuber, glaubt den Grund zu kennen: Es gebe eine Absprache zwischen dem britischen Premier Tony Blair und Konventspräsident Giscard d’Estaing. Die Briten werden einem europäischen Verfassungsvertrag nur dann zustimmen, wenn darin keine sozialen Grundrechte garantiert sind.

Peter Glotz selber sagt, seine Unterschrift sei nur auf die Liste geraten, weil sein Sekretariat in Sankt Gallen seine Randnotiz auf dem Papier falsch interpretiert habe. Voggenhuber aber behauptet, der Vertreter der Bundesregierung habe sich auf Weisung von Gerhard Schröder zurückziehen müssen. Der Sozialdemokrat Jürgen Meyer, der den Bundestag im Konvent vertritt, wusste gestern noch nicht, dass sein Parteifreund Glotz nicht mehr mit von der Partie ist. Nun ist Meyer – abgesehen von der PDS-Vertreterin Sylvia-Yvonne Kaufmann – der einzige verbliebene Deutsche auf der Liste.

Der Widerstand der Briten gegen einklagbare europäische Sozialstandards ist bekannt. Die Vertreterin der britischen Regierung, Baronesse Scotland of Asthal, versucht in der Konventsgruppe zur Grundrechtecharta zu erreichen, dass das vierte Kapitel – soziale Grundrechte – zusammengestrichen wird. Dagegen wollen viele sozialistische Konventsmitglieder diese Komponente noch stärken. Jürgen Meyer ist überzeugt, dass der Konvent scheitert, wenn er die Grundrechte-Diskussion von vorn beginnt. Die sozialen Rechte müssten aber – wie in der Charta vorgesehen – als Abwehrrechte gegenüber den EU-Organen garantiert werden, ohne in die sozialen Standards der Mitgliedsstaaten einzugreifen.

Schon Helmut Kohl hat sich geweigert, die soziale Frage auf EU-Ebene zu stellen. Das sieht sein sozialdemokratischer Nachfolger Schröder genauso. Denn Deutschland als größter Nettozahler fürchtet, es könnte am Ende für bessere Sozialstandards in den Nachbarländern zur Kasse gebeten werden.

Dennoch wird Glotz zunächst gedacht haben, er könne eine Debatte des Themas befürworten. Pech war nur, dass er gerade am 24. September unterschrieb. Am selben Abend reiste Gerhard Schröder nach London, um seinen Freund Tony Blair zu bitten, in Washington ein gutes Wort für ihn einzulegen. Der wird ihm klar gemacht haben, dass die Achse Berlin–London noch gestärkt werden muss. Zwei Sozialdemokraten in Treue fest, wenn es darum geht, die soziale Frage vom Tisch zu wischen.

DANIELA WEINGÄRTNER