Wohlstand für Riga und Riesa

Polen fordert Rabatt bei den Beitragszahlungen: Sonst könnte das Referendum scheitern

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Die litauische Hafenstadt Klaipeda hat bessere Tage gesehen. Doch zwischen rostigen Kränen und verlassenen Werftanlagen leuchtet ein Schild, das vierspurige Zubringerstraßen und gigantische Kläranlagen verheißt: fünfzehn gelbe Sterne auf blauem Grund. Hier baut die Europäische Union.

Ob die neue Werft in Klaipeda jedoch jemals gebaut wird, ist ungewiss. Schon übernächstes Jahr werden sich – wenn alles nach Plan geht – fünfundzwanzig gelbe Sterne auf den blauen EU-Plaketten drängeln. Und genau so viele Mitglieder streiten sich dann um die Töpfe für landwirtschaftliche Zuschüsse und Strukturförderung. Auch in Tschechien, Estland oder Polen stehen glänzende EU-Schilder vor veralteten Industrieanlagen. Doch nur zu oft kann man nicht erkennen, was aus dem Geld der „Vorbeitrittshilfen“ geworden ist, das die EU hier bisher investiert hat.

All diese Industriebrachen zeigen, dass die Neulinge gar nicht fähig seien, das Geld aus Brüssel vernünftig auszugeben, sagen alle jene, die den neuen Mitgliedern weit weniger Strukturförderung als den alten zukommen lassen wollen. Gerade zu Anfang müsse viel in die neuen Länder gepumpt werden, wollen sie den Anschluss an den Westen finden, meinen die anderen. Klar ist: Hinter geschlossenen Türen hat der Kampf um die zukünftige Verteilung der EU-Gelder längst begonnen.

Ende Januar legte die EU-Kommission ihren Vorschlag vor, wie die Erweiterung „fair und solide“ finanziert werden könne. In einem harmlos aussehenden Diagramm veröffentlichte sie eine Modellrechnung, die das Unmögliche verspricht: Zehn arme Verwandte will die europäische Familie übernächstes Jahr in ihrer Mitte willkommen heißen. Keines der derzeitigen Familienmitglieder soll dabei auf lieb gewordenen Luxus verzichten müssen. Das Familienbudget wird auch im erweiterten Kreis unverändert sparsam verwaltet. Trotzdem sollen die Neuen lernen, mit Geld umzugehen und nach einer Übergangszeit das gleiche Taschengeld bekommen wie die reiche Verwandtschaft.

Unter deutscher Präsidentschaft hatten sich die Staats- und Regierungschefs im Sommer 1999 in Berlin geeinigt, wie sie das Geld aus der Gemeinschaftskasse bis 2006 zwischen alten und neuen Mitgliedern aufteilen wollen. Von den damals angenommenen Voraussetzungen gilt inzwischen keine mehr: Nicht dieses Jahr, sondern erst 2004 kommen neue Mitglieder in die EU. Voraussichtlich werden es aber nicht sechs sein, sondern gleich zehn auf einmal.

Widerstreitende Interessen blockieren die Finanzplanung gleich von drei Seiten: Hinter verschlossenen Türen ringen die Vertreter der reichen EU-Länder mit den ärmeren, deren Ansprüche wiederum von den künftigen – noch schlechter gestellten – Mitgliedsländern in Frage gestellt werden. Die derzeitigen Empfänger von EU-Fördermitteln, allen voran Spanien, aber auch Irland und alle neuen deutschen Bundesländer, befürchten, ihre Ansprüche spätestens 2006 zu verlieren. Denn die neuen ärmeren EU-Mitglieder drücken rechnerisch das Durchschnittseinkommen in der EU nach unten. Da nur Regionen an den Brüsseler Tropf angeschlossen werden, deren Bewohner im Schnitt weniger verdienen als 75 Prozent des EU-Mittels, müsste den jetzigen Fördergebieten der Geldhahn zugedreht werden.

Unzufrieden sind auch die Kandidatenländer. Sie wollen vom ersten Beitrittstag an die gleichen Rechte haben wie die Altmitglieder – auch und gerade was Fördermittel aus Brüssel angeht. Bis 2006 allerdings ist daran gar nicht zu denken, denn mehr Geld als in Berlin beschlossen wird es nicht geben – spannend bleibt nur, wie es unter die Neuen verteilt wird.

Der offizielle Kommissionsvorschlag vom Januar schweigt sich dazu aus. Intern allerdings hat die Kommission dem Rat einen Tipp gegeben, wie er die sieben Milliarden Euro Strukturförderung für 2004, die 8,1 Milliarden für 2005 und die 10,35 Milliarden für 2006 gerecht unter die zehn Neuankömmlinge verteilen kann. Aus Einwohnerzahl, Fläche des Landes und Durchschnittseinkommen soll rechnerisch die Zauberformel gebildet werden, die allen gerecht wird.

Obwohl sich die Vertreter der fünfzehn EU-Regierungen frühestens zum Gipfeltreffen Ende Oktober in Brüssel auf einen Vorschlag einigen wollen, ist die Aufregung in den künftigen Empfängerländern schon jetzt groß. 57,6 Prozent aus dem Topf für strukturschwache Regionen solle Polen erhalten, berichteten Journalisten Ende März. Für Ungarn blieben nur 12,2 Prozent, Litauen müsse sich gar mit 5,4 Prozent begnügen.

Dagegen sah letzte Woche eine auf Erweiterung spezialisierte Fachzeitschrift die baltischen Staaten als Gewinner aus dem Gerangel hervorgehen. Litauen werde nach dem Beitritt doppelt so viel Geld aus Brüssel erhalten wie 2003 – nämlich 248 Millionen Euro. Für neue Hafenanlagen in Klaipeda würde das reichen. Die beiden anderen baltischen Staaten Estland und Lettland könnten mit einer ähnlich positiven Bilanz rechnen. Dagegen sei Tschechien der große Verlierer des geplanten Erweiterungspakets: 342 Millionen Euro weniger als im Jahr vor dem Beitritt bekomme das Land 2004 aus Brüssel.

Tschechien ist der Verlierer des Erweiterungspakets: Prag wird wohl Nettozahler werden

Ob einige Kandidatenländer als Vollmitglieder tatsächlich schlechter dastehen werden als vor dem Beitritt, hängt von der dritten Interessengruppe ab, die mit entscheidet: von den derzeitigen Nettozahlern der Union. Länder wie Deutschland, die mehr Geld in Brüssel abliefern, als sie auf dem Weg über Förderprojekte und Agrarsubventionen von dort zurückbekommen, sind besonders daran interessiert, dass mit ihrem EU-Geld sparsam gewirtschaftet wird. Deshalb würde Deutschland am liebsten die Spielregeln für die Fördertöpfe ganz neu festlegen. Die Eigenleistung bei jedem aus Brüssel finanzierten Projekt soll in der neuen Finanzperiode steigen. Vor allem die Subventionsmentalität – solange es nichts kostet, bauen wir alles – würde auf diese Weise abnehmen.

Die Kommission steuert genau in die entgegengesetzte Richtung. Sie möchte erreichen, dass die neuen Mitglieder möglichst viel Geld aus dem so genannten Kohäsionsfonds erhalten. Diese Projekte können bis zu 90 Prozent aus Brüssel finanziert werden. Nur so, davon ist Regionalkommissar Michel Barnier überzeugt, werden die armen Verwandten rasch den Anschluss an das reiche Mitteleuropa schaffen. Tschechien, Slowenien, Malta und Zypern sollen außerdem in den ersten Beitrittsjahren einen Rabatt erhalten. Diese vier Länder müssten sonst schon im Beitrittsjahr mehr Geld in die EU-Kasse zahlen, als sie aus Brüssel zurückbekommen. Dass sich Slowenien Seite an Seite mit dem reichen Deutschland vom ersten Tag an im Club der Nettozahler wiederfinden würde, hängt mit haushaltspolitischen Besonderheiten zusammen: Der Mitgliedsbeitrag wird sofort fällig, Agrarhilfen und Fördergelder fließen viel später.

Die Erweiterung dürfe nicht zur „Sparbüchse“ für die Union umfunktioniert werden, fordert deshalb die Grünen-Ostexpertin Elisabeth Schroedter. Sie rechnet vor, dass selbst nach dem großzügigeren Finanzierungsmodell der Kommission 15 Milliarden Euro weniger ausgegeben werden als in Berlin beschlossen – wenn man die Vorschläge zur Agrarpolitik mit einrechnet. Dieses Geld werde aber dringend gebraucht, um den Strukturwandel im ländlichen Raum zu finanzieren.

Am Ende werden die Argumente der drei beteiligten Interessengruppen aber gar keine Rolle mehr spielen. Am Ende werden sich alle mit Drohungen und Erpressungen den günstigsten Platz an den Fleischtöpfen zu verschaffen versuchen. Polen fordert energisch einen Rabatt bei den monatlichen Beitragszahlungen an die EU – sonst sei die EU-Mitgliedschaft in der eigenen Bevölkerung politisch nicht durchsetzbar. Nach der jetzigen Planung wird das größte Kandidatenland nämlich nach dem Beitritt nur 24 Millionen Euro mehr bekommen als 2003. Am Ende wird es darauf ankommen, wer die besseren Nerven hat: die Neulinge, die um fast jeden Preis EU-Mitglieder werden wollen, oder die fünfzehn Alten, die den Bogen nicht überspannen dürfen. Sonst stellen sie ganz gastlich weitere Stühle an den Familientisch – und keiner will darauf sitzen.