Kampf mit dem Prinzip Macht

Er will nicht Gewissen, sondern Mahner sein: Der Südafrikaner William Kentridge, dessen multimediales Stück „Confessions of Zeno“ provokante Blicke auf die Innereien der Gesellschaft seiner Heimat wirft, verarbeitet darin auch eigene Vergangenheit

von MARGA WOLFF

William Kentridge will nicht als politischer Sprecher Südafrikas gelten. Eher kommt dem weißen Südafrikaner die Rolle eines mahnenden Gewissens zu, in seinem Heimatland, das 1994 das Apartheidregime offiziell abgeschafft, aber keineswegs überwunden hat. Das multimediale Theater des künstlerischen Tausendsassas Kentridge ist jedenfalls bestens geeignet, dieser Rolle gerecht zu werden, ohne allzu moralisch zu erscheinen. Bizarre, fantastische Traumwelten fügen sich auf seiner Bühne zu einem Spektakel jenseits herkömmlicher Genres. Puppen- und Schattenspiel, Musik, Gesang, Schauspiel und Video formen sich zu einer neuen Art von Live-Kino.

Confessions of Zeno, eine Bearbeitung des gleichnamigen Romans von Italo Svevo, ist Kentridges jüngstes Stück, das er gemeinsam mit der Handspring Puppet Company, dem südafrikanischen Komponisten Kevin Volans und der Autorin Jane Taylor entwickelte. Bei der diesjährigen Documenta XI in Kassel wurde es uraufgeführt und eröffnet nun Gordana Vnuks zweite Spielzeit auf Kampnagel.

Kentridge verlegt Svevos Romanvorlage aus dem Triest um 1920 in Johannesburgs Vorstädte der 80er Jahre. Sein Aufwachsen als weißer Südafrikaner zu Zeiten der Apartheid habe er in der Hauptfigur Zeno wiedererkannt, sagt der Regisseur. In einem fiktiven Gespräch mit seinem Psychiater versucht Zeno sich an einer Analyse seines Lebens und seiner Psyche. Zeno erinnert sich an Momente der Unentschlossenheit, an seine Überforderung durch das Nebeneinander unterschiedlicher Lebensentwürfe. Dabei hebt sich die Erzählerfigur Zeno als einziger Weißer unter Schwarzen und als einzige Sprechrolle unter Sängern von den übrigen Figuren ab.

Es ist nicht das erste Mal, dass er sich mit Svevos Roman beschäftigt. In Zeno Writing, einem elfminütigen Schwarz-Weiß-Film, collagiert und stapelt Kentridge sämtliche Bilder, die er sich 20 Jahre nach der Lektüre des Romans in Erinnerung gerufen hat. Das Bühnenstück wiederum basiert auf den grafischen Motiven dieser expressionistischen Kohlezeichnungen.

Als visueller Künstler hatte er bereits 1997 bei der Documenta X in Kassel internationale Aufmerksamkeit erlangt. Seinen durchschlagenden Erfolg als Theaterregisseur hatte er mit seiner Adaptation von Büchners Woyzeck, Woyzeck on the Highveld, die er ebenfalls mit der Handspring Puppet Company realisierte. Denn das Einzigartige an dieser seit 1992 währenden Kooperation ist auch in Confessions of Zeno die Arbeit mit den lebensgroßen Puppen. Geführt von Menschen, die unmittelbar hinter ihnen auf der Bühne stehen, sie bewegen, ihnen ihre Stimme geben, verschmelzen Mensch und Figur zu einer Art Doppelwesen, bei dem der Mensch mehr und mehr hinter der Puppe verschwindet. Wie im Traum ziehen dazu animierte Landschaften über eine Leinwand, von Kevin Volans‘ Musikcollage für einen Bass, zwei Soprane und ein Streichquartett in ein Wechselbad von Stinmmungen und Gefühlen getaucht.

Die Arbeit des 1955 in Johannesburg geboren Regisseurs repräsentiert seinen oft provokanten Blick auf die südamerikanische Gesellschaft und ihre Vergangenheit. Ein Blick allerdings, der hinter der Grausamkeit des Staates die Sicht auf jene inneren Landschaften freigibt, wo ein jeder Mensch in sich selbst mit dem Prinzip Macht zu kämpfen hat.

Neue Seh- und Denkgewohnheiten herausforderndes Theater ist auf Kampnagel seit nunmehr 20 Jahren Programm. Gordana Vnuk will zudem Tanz und Theater außereuropäischer Kulturen deutlicher ins Blickfeld rücken. Der Spielzeitauftakt mit der Handspring Puppet Company unterstreicht dieses Anliegen mit diesem außergewöhnlichen Theaterereignis und erinnert gleichzeitig an Kampnagels Geschichte, als vor 20 Jahren Hamburgs freie Gruppen mit dem ersten Festival „Besetzungsprobe“ das brachliegende Gelände für sich zu erobern begannen. „Kampnagel ist anders“: Auf dieses Jubiläums-Motto wollen die neue Intendantin und ihr Team mit Künstlern und alten Weggefährten anstoßen.

Mittwoch, 2. bis Sonnabend, 5. Oktober, 20 Uhr, Kampnagel (k6)