Schlechte Karten für Migrantenkinder

Bildungsexperten suchen bei einer taz-Diskussion nach Rezept, das nichtdeutschen Kindern gleiche Chancen gibt

Es war ein eingeschworener Zirkel, der sich hier im Familiengarten traf

Der Satz mit dem Traum klingt immer pathetisch. Zumindest dann, wenn ihn nicht ein Bürgerrechtler 1963 beim Marsch auf Washington ruft. Wenig glücklich klingt er zum Beispiel im Familiengarten in Kreuzberg, wenn der Sauerstoff nach eineinhalb Stunden knapp und das Auditorium davon überzeugt ist, dass ihn die Falsche sagt.

Trotzdem meint Angelika Hüfner von der Senatsverwaltung für Schule: „Ich habe einen Traum. Einen Traum von einer Schule mit 90 Prozent Kindern mit Migrationshintergrund, die dennoch eine gute Schule ist.“

Weniger um Träume denn um den alltäglichen Frust von Migrantenkindern ging es in der von der taz und dem Türkischen Bund initiierten Podiumsdiskussion mit Bildungsexperten in der Oranienstraße.

Nirgendwo selektiert das Schulsystem so stark wie in Deutschland. Migrantenkinder mit anderen Muttersprachen, die oft noch aus sozial schwachen Familien kommen, haben eine doppelte Hypothek zu tragen. Lösungen sind teuer und schwierig.

Die Suche danach begann ungewöhnlich – die Moderatorin bat jeden der Experten um eine Selbstkritik der eigenen Institution. Bitte diesmal keine Schuldzuweisungen, hieß das, und die meisten antworteten erfrischend offen. Barbara Schmitt-Wenkebach vom Pestalozzi-Fröbel-Haus kritisierte die „zu verschulte Erzieherinnenausbildung“, Havva Engin von der TU gab zu, Lehrer zu sehr zu „Fachexperten, zu wenig zu Pädagogen“ auszubilden. Laut Safter Cinar, dem Sprecher des Türkischen Bundes, hat zu lange die Meinung vorgeherrscht, auf türkische Eltern dürfe in puncto Bildungsplanung ihres Kindes nicht so viel Druck ausgeübt werden wie auf deutsche. Tatsächlich wurde lange moralisch, nicht pragmatisch diskutiert.

Es war ein eingeschworener Zirkel, der sich hier im Familiengarten traf. Man kannte sich, natürlich auch die Argumente der anderen. Angelika Hüfner wiederholte noch einmal, was ihr Chef, Schulsenator Klaus Böger, vergangene Woche als „Berliner Antwort auf Pisa“ im Abgeordnetenhaus vorgebracht hatte: künftig mehr Fortbildung für Kita-Erzieherinnen, Sprachstandsmessungen, Englisch schon ab der dritten Klasse, Sprachtests in der zweiten Klasse, um in der Konsequenz Kindern durch mehr Deutschunterricht doch noch ausreichende Sprachkenntnisse zu vermitteln. Das Publikum warf ihr „Reparaturpolitik“ vor. Eine Lehrerin sagte, ihr fiele es schwer, jetzt Dinge zu begrüßen, die seit 40 Jahren notwendig seien. Da gab es zum ersten Mal Applaus.

Erhard Laube, Lehrer an der Spreewaldgrundschule in Schöneberg, brachte konkrete Vorschläge ein. Warum nicht Schuleinzugsbereiche neu zuschneiden? Warum nicht Schulverbünde gründen oder Kinder in andere Bezirke fahren – auf freiwilliger Basis? So, vermutete der Lehrer, könnte der Anteil von Kindern mit deutscher Muttersprache in Klassen erhöht werden. Kinder könnten von Kindern lernen.

Böger-Referentin Hüfner fand die Vorschläge gut, bis auf den letzten. Dann zitierte sie Martin Luther King. Sie war wohl die Einzige im Raum, die sich das Träumen noch nicht abgewöhnt hat. ULRICH SCHULTE