talking food von ILKE S. PRICK
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Ich werde verfolgt. Andere sehen schwarze Männer, haben die Mafia im Nacken oder das Finanzamt. Vor all dem fürchte ich mich nicht, aber wenn es klingelt, zucke ich zusammen. Es kann ja sein, dass sie plötzlich vor der Tür stehen. Dass sie lachend durch den Briefschlitz springen und womöglich auch noch anfangen zu singen. Im Chor, mehrstimmig. Das wäre schlimm. Erbsen, Möhren, Bohnen, fröhlich vereint, im Kreis tanzend. Mehr als schlimm, wirklich!

Diese Bilder verfolgen mich seit Jahren. So genanntes famoses Zartgemüse hüpft durch meine Albträume. Nicht sahnend und gut gelaunt springt es seinem Schicksal entgegen. Ab ins Döschen, Deckel drauf. Weiß denn niemand, wie viel Kinder diesem Drama vor dem Fernseher zugeschaut haben? Traumatisch, ehrlich! Wie habe ich mich gefürchtet, damals, nachdem ich das zum ersten Mal gesehen hatte und Mutter dann sonntags Gemüse auf meinen Teller löffelte. Augen in den Kartoffeln, nun ja, das kommt in den besten Familien vor, aber was, wenn dem Mais plötzlich kleine Ohren wachsen und er ein diabolisches Grinsen aufsetzt? Würde er Rechenschaft fordern, wenn man zubeißt? Soll man da keine Angst bekommen? Schlimmer noch ist die Überlegung, was mit all dem Gemüse wurde, das durch den Bonduelle-Test gefallen ist. Gibt es dafür eine Erbsenrechtsvereinigung? Einen Möhrenschutzbund?

So sahen sie aus, die Fragen meiner Kindheit. Als ich größer wurde und irgendwann auch Tomaten Turnschuhe trugen, Orangen von Bäumen in Saftflaschen kletterten, da habe ich meinen Fernseher verkauft und ein Radio angeschafft. Ich habe das alles nicht mehr verkraftet. Andere wurden Vegetarier nach dem Motto: Iss nichts, was ein Gesicht hat! Für mich galt: Iss nichts, was zu dir spricht. Aber was bleibt da noch übrig, wenn Gemüse anfängt zu reden?

Mein Speiseplan hat sich seitdem drastisch reduziert: keine Paprika, keine Grapefruit und kein Maoam. Mit Mortadella habe ich keine Schwierigkeiten, denn die mit dem Bärchenmuster mochte ich noch nie. Italienische hat zwar Pistazien drin, aber sie hat wenigstens keine Augen und lächelt nicht, denn das Weiße sind nicht Zähne, sondern Speck. Da weiß ich, woran ich bin. Auch Hähnchen machten mir bis jetzt wenig Probleme. Die haben zwar ein Gesicht, aber hübsch sind sie ja nicht gerade. Jedenfalls nicht so niedlich wie diese kecken Maoam-Zitronen. Seitdem lebe ich nicht so schlecht.

Doch neulich, als ich ahnungslos das Radio einschaltete, begann meine Paranoia von neuem. Eine Drohung drang aus dem Lautsprecher: „Wenn Hähnchenschenkel sprechen könnten!“ Mir wurde übel. Unter hysterischem Gekicher priesen sich Hühnerkeulen einschmeichelnd selbst an.

Nun bin ich vor nichts mehr sicher. Mein Radio habe ich in die Speisekammer gestellt und den Briefschlitz zugeklebt. Vielleicht werde ich auf Fisch umsteigen. Denn eins ist klar: wenn jetzt auch Hähnchenschenkel sprechen – Fische waren schon immer Langweiler. Sie haben geschwiegen! Hoffentlich bleibt das so.