Schach ohne Verstand

Ab Freitag tritt Weltmeister Wladimir Kramnik gegen den Computer an. Deep Fritz 7 wird sich dabei wie ein dreister Straßenräuber gebärden – schließlich geht es um eine Million Dollar Preisgeld

Interview HARTMUT METZ

Zwei bis drei Schachzüge bedenkt der Mensch binnen einer Sekunde. Starke Computerprogramme arbeiten in derselben Zeit drei bis vier Millionen Züge ab. Quantität bedeutet dabei aber auch eine Menge Datenmüll – nur ein Bruchteil der berechneten Züge garantiert Qualität. Das will Weltmeister Wladimir Kramnik von Freitag bis 19. Oktober in Manama, der Hauptstadt Bahrains, beweisen. Der 27-jährige Russe trifft in acht Partien, in denen es um eine Million Dollar Preisgeld geht, auf Deep Fritz 7. Das Programm der Hamburger Schachsoftware-Schmiede Chessbase, das auf jedem herkömmlichen PC läuft, ist Erster der Computer-Weltrangliste und kostet 99 Euro. taz-Klötzleschieberexperte Hartmut Metz unterhielt sich mit Wladimir Kramnik.

taz: Herr Kramnik, Ihr Vorgänger als Weltmeister, Garri Kasparow, und der Schach-Weltverband Fide setzten Ihnen ein eigenes Match in Jerusalem gegen das Programm Deep Junior vor die Nase. Auch wenn das Duell jetzt vom 1. Oktober auf Dezember verschoben werden musste: War das eine Kriegserklärung?

Wladimir Kramnik: Ich führe keinen Krieg. Wenn Kasparow und Fide-Präsident Kirsan Iljumschinow gegen jemanden kämpfen wollen, sollen sie das tun. Mich störte es nicht, dass die auch ein Computer-Match ansetzten.

Trotzdem wirkt es so, als ob sich zwei ehemalige Feinde zu einer unheiligen Allianz gegen Sie verbündet hätten.

In der Tat fand eine unglaubliche Metamorphose statt. Ich erinnere mich noch an Kasparow-Interviews, in denen er Iljumschinow mit Kraftausdrücken bedachte, die ich nicht einmal zitieren möchte. Beide zeigten, dass die Schachwelt ein bisschen krank ist. Wenn mich jemand derartig beleidigt, würde er garantiert nicht mein Freund werden. So lange ich gegen Kasparow nicht verliere, bin ich sein Feind.

Warum soll Ihr Match gegen Deep Fritz interessanter sein als das von Kasparow gegen Deep Junior?

Die Fritz-Bahrain-Version wurde deutlich verbessert. Mit der kommerziellen Version Deep Fritz 7, die auf Platz 1 der Computerrangliste steht, hat das Bahrain-Programm nur den Namen gemein. Es wird unglaublich schwer, gegen dieses Monster etwas auszurichten. Der Status meines Wettkampfs ist auf jeden Fall höher, beachtet man die Fakten: Ich schlug Kasparow – und Deep Fritz bezwang Deep Junior im Qualifikationsmatch mit 14:12.

Sie erhielten zur Vorbereitung auf Bahrain die komplette Hard- und Software von Deep Fritz. Konnten Sie die Schwächen des Programms ausloten?

Ich muss in Stellungen gelangen, die der Computer nicht kapiert und in denen ihm die Rechengewalt wenig hilft. Nach vier oder sechs Partien in Bahrain bin ich klüger und wüsste wohl, wie ich dem Computer beikomme – bleibt nur die Frage, ob es da nicht schon zu spät ist.

Was bereitet Ihnen beim Spiel gegen Computer am meisten Probleme?

Computer besitzen keinen Schachverstand. Manchmal spielen sie merkwürdige Züge, auf die kein vernünftiger Mensch käme. Dieses Manko kompensieren die Computer mit enormer Rechengewalt, der nichts entgeht. So gebärden sie sich am Brett wie dreiste Straßenräuber, die einem frech alles Hab und Gut wegnehmen.

Der Programmhersteller Chessbase schob Ihnen die Favoritenrolle zu. Sie durften schließlich mit dem Programm samt Hardware, die in Bahrain eingesetzt wird, alles ausprobieren.

Natürlich versucht Chessbase den Außenseiter zu mimen. Dann haben sie weniger Druck. Ich könnte auch behaupten, ich wäre chancenlos. Im Ernst: Ich hatte das Programm hier in Deutschland nur zwei Wochen zur Verfügung. Da kann ich nicht alle Eröffnungen abklopfen – und zudem bereiten sie sich schon seit eineinhalb Jahren auf mich vor und kennen mein gesamtes Eröffnungsrepertoire und alle Partien. Ich kann hingegen seine Partien nicht ständig wiederholen und dadurch immer wieder gewinnen: Die Hashtables verhindern, dass der Computer denselben Fehler zweimal begeht. Wenn ich eine andere Eröffnung spiele, kennt Deep Fritz diese dank seiner Datenbank dagegen ebenso in- und auswendig.

In Science-Fiction-Filmen werden Fehler des Bordcomputers gerne dadurch entdeckt, dass dieser überraschend im Schach gegen ein Crew-Mitglied wie Mr. Spock verliert. In wie viel Jahren werden nicht nur 99,9 Prozent, sondern alle Menschen chancenlos gegen Schachprogramme sein?

Vom Gefühl her würde ich sagen, dass es in fünf bis zehn Jahren so weit ist. Der Fortschritt ist nicht zu stoppen. Wenn ich die Spiele mit Fritz vor zwei Jahren und heute vergleiche, sind das unterschiedliche Welten. Schach ist ein sehr, sehr kompliziertes Spiel, aber eben doch auch pure Mathematik. Spaßigerweise reichen die zwei, drei guten Züge des Menschen, die er in der Sekunde berechnet oder aus dem Bauch heraus spielt, immer noch, um mit den Millionen Zügen des Computers konkurrieren zu können. Sicher kommt aber der Zeitpunkt, an dem die zwei, drei Züge nicht mehr genug sind – ich hoffe bloß, dass er nicht schon in diesem Monat kommt.