Kroatiens Präsident klagt an

Seit letztem Donnerstag muss sich der ehemalige serbische Staatschef Milošević vor dem Tribunal in Den Haag wegen des Krieges in Kroatien und Bosnien verantworten. Gegensätzliche Denkrichtungen prallen im Gerichtssaal aufeinander

von ERICH RATHFELDER

Als der kroatische Präsident Stipe Mesić gestern um 9 Uhr den Gerichtssaal in Den Haag betrat, umspielte ein etwas verächtliches Lächeln den Mund des wegen Völkermordes angeklagten Slobodan Milošević. Die beiden kennen sich aus alten Zeiten und waren immer politische Gegner gewesen. Der ernst und gefasst auftretende Stipe Mesić, der sich, für Politiker des Balkan untypisch, auch gegen die „eigenen“, die kroatischen Kriegsverbrecher wendet, mied jeden Blickkontakt zu dem Angeklagten.

Zwei Tage stehen sich nun die beiden bisher hochrangigsten Protagonisten des jugoslawischen Dramas gegenüber: der ehemalige Präsident Serbiens und Stipe Mesić, zu Beginn des Krieges in Slowenien und Kroatien 1991 Vorsitzender des Staatspräsidiums, also Präsident der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien. Und so ist er einer der wichtigsten Zeugen, der nach dem Willen der Anklage darüber Auskunft geben soll, wie die Bundesrepublik Jugoslawien zerstört wurde, wie es zum Kriege kam und welche Rolle dabei der Angeklagte eingenommen hat.

Beide Politiker nehmen für sich in Anspruch, für Jugoslawien eingetreten zu sein. Doch beide haben schon in der Vergangenheit gezeigt, dass sie zwei völlig unterschiedliche Begriffe von Jugoslawien haben. Während Mesić Ende der Achtzigerjahre wie die Mehrheit der Kroaten für eine Demokratisierung und Dezentralisierung des Landes eintrat, für ein konföderatives Modell des aus sechs Republiken bestehenden Staates, war Milošević wie die Mehrheit der serbischen Bevölkerung ein Vertreter des Zentralismus. In einer Konföderation hätte Zagreb mehr Einfluss gegenüber Belgrad gewonnen, im zentralistischen Modell hätten die Serben als stärkste Bevölkerungsgruppe Jugoslawien beherrscht. In der Konföderation wäre die serbische Bevölkerung auf mehrere Republiken aufgespalten worden, in dem zentralistischen Modell in einem einheitlichen Staat geblieben.

Beide Denkrichtungen prallten schon zu Beginn der Befragung Mesić’ aufeinander. „Sie haben Jugoslawien zerstört“, rief dieser aus. Milošević dagegen warf Mesić vor, „persönlich eine kriminelle Rolle beim Zusammenbruch Jugoslawiens“ gespielt zu haben. Die Frage in Den Haag ist aber, welche Politik zum Krieg geführt und welche Rolle Milošević dabei gespielt hat.

Mesić erklärte in seinen Ausführungen, wie die serbische Minderheit in Kroatien, die damals 12 Prozent der Bevölkerung ausmachte, Ende der Achtzigerjahre „von Belgrad aufgehetzt“ wurde. Er spielte auf den „Aufstand der Baumstämme“ in der mehrheitlich von Serben bewohnten kroatischen Krajina an, als bewaffnete Serben 1990 Straßen blockierten. Die serbische Propaganda hätte die Serben zum Krieg in Kroatien aufgerufen. Milošević habe diese Unruhen geschürt und dann die Armee angeblich zur Schlichtung der Konflikte geschickt, in Wahrheit aber, „um sie auf die Seite der Serben zu stellen“.

Die von den kommunistischen Partisanen gegründete multinationale „Jugoslawische Volksarmee“ war im Sommer 1991 in Kroatien tatsächlich in serbischer Hand. Im Wehrbezirk Nordwest befehligte der heute als Kriegsverbrecher gesuchte Ratko Mladić die Truppen, im Wehrbezirk Nord war der Oberbefehl von einem Slowenen auf einen anderen serbischen General übergegangen. Für Mesić deutete sich jedoch schon mehr an. „Milošević wollte ein Großserbien auf den Ruinen des ehemaligen Jugoslawien schaffen“, wollte also mit Hilfe der Armee die serbisch dominierten Gebiete aus Kroatien herausbrechen und mit Serbien vereinigen. „Die Serben Kroatiens sollten die Lunte entzünden, die dann nach Bosnien und Herzegowina hineingetragen werden sollte“, erklärte er. Diese Strategie habe „die Zerstörung Jugoslawiens“ zur Konsequenz gehabt, auch wenn Milošević das Gegenteil behaupte.

Bei der Vernehmung Mesić’ wird es heute voraussichtlich auch um die Frage der Absprache von Karadjordjevo über die Aufteilung Bosniens gehen. Mesić hatte sich 1994 wegen des Bosnienkrieges von seinem ehemaligen Weggefährten, dem kroatischen Expräsidenten Franjo Tudjman, getrennt und ihm vorgeworfen, mit Milošević gemeinsam in Bosnien vorzugehen.