Der Campingwagen auf Gleis 20


Im Interconnex heißt der Fahrkartenschalter Bauer. Auch der Schaffner und der Minibarmann heißen Bauer

von KATHARINA KOUFEN
und KARSTEN THIELKER (Fotos)

Er muss sich jetzt wirklich beeilen, der Interconnex hat in Berlin-Lichtenberg zehn Minuten Aufenthalt und drei davon sind schon vorbei. Den Filter aufgeschwenkt, fünf Messlöffel Kaffee hinein, Filter zu, den Knopf gedrückt, das rote Lämpchen leuchtet, die Kaffeemaschine ächzt. Mit dem gelben Schwamm wischt er ein paar Kondensmilchspritzer weg. Noch sieben Minuten, dann geht die Fahrt Richtung Rostock weiter. Steffen Bauer streicht sich kurz über seine Krawatte, sie ist gelb, sein Hemd ist blau, die Farben des Interconnex. Er muss jetzt raus, auf den Bahnsteig von Gleis 20.

Steffen Bauer ist Schaffner, „Kundenbetreuer“ heißt es bei Connex. Gemeint ist: Mädchen für alles, Fleisch gewordene Dienstleistung. Abteilchef, Fahrkartenverkäufer, Koch, Putze in einem.

Früher, als er noch bei der Deutschen Bahn war, da gab es eine Küche mit zwei Angestellten der Mitropa, da gab es einen, der mit einem Wägelchen durch die Gänge gezuckelt ist und den Reisenden Getränke, heiße Wurst und Süßigkeiten angeboten hat. Da wäre Bauer nicht auf die Idee gekommen, die Toilette sauber zu machen, nur weil eine junge Frau mit gequältem Gesicht ihm erklärt, sie müsse jetzt ganz dringend, und leider geht die Spülung nicht mehr. „Ich muss jetzt erst mal ein bisschen das Klo heile machen“, entschuldigt sich Bauer. „Dann fahren wir weiter.“ Lacht, steckt zwei Finger in die Gürtelschnallen seiner schwarzen Jeans und verdreht die Augen. Was soll’s, wahrscheinlich ist nur der Abwassertank voll. Der Kundenbetreuer drückt mehrere Knöpfe. Greift sich ein Papierhandtuch, öffnet den Klodeckel, prüfender Blick: „Alles okay.“

Bei der Bahn, sagt Bauer, schließt du das Klo ab und machst ein Schild dran, außer Betrieb. Bei der Bahn dauert es lange, bis so was wieder in Ordnung gebracht ist. „Weil da so viele zuständig sind, und am Schluss fühlt sich immer keiner verantwortlich.“

Jetzt aber schnell raus auf den Bahnsteig, alle einsteigen, „wir fahren gleich weiter“, ruft er einer Gruppe von Punks zu, die draußen stehen und rauchen. Rauchen ist im gesamten Interconnex verboten. Bauer findet das gut, obwohl er selbst raucht, „aber nicht auf Arbeit“. Das sieht einfach nicht gut aus.

Schließlich ist es wichtig, was die Leute von Connex denken. Connex ist der größte Konkurrent der Deutschen Bahn AG, ein junges Unternehmen, das hat Bauer gereizt, da beim Aufbau mitzuhelfen. Der 33-Jährige erinnert sich gut an das Gefühl bei der Bahn, damals, als um Rostock herum so viele Strecken stillgelegt wurden. „Jeden Tag hast du gehört, wie unnötig du bist“, sagt Bauer.

Entlassen haben sie ihn nicht, obwohl die Bahn in den 90er-Jahren tausende Stellen abgebaut hat. Aber nach Hamburg haben sie ihn versetzt, weg von der Familie in Rostock, da ist er zu Connex gewechselt. „Hier hast du das Gefühl, du wirst gebraucht. In solchen Zeiten darf man sowieso nicht meckern.“

Auch nicht über die Bezahlung, die ist zwar nicht üppig, aber im Vergleich zur Bahn AG macht der Job bei Connex keinen Unterschied. Mit Zulagen fürs Wochenende und für Übernachtung kommt ein Kundenbetreuer, verheiratet, ein Kind, auf 1.400 Euro netto.

Am besten hat es Bauer bei der Reichsbahn der DDR gefallen. Da hat er Ende der 80er, gerade 20 Jahre alt, als Rangierleiter angefangen, in Warnemünde. „Nach Dienstschluss biste immer noch mit den Kollegen ein Bier trinken gegangen. Heute sieht jeder zu, dass er schnell vom Hof kommt.“ Aber schließlich hat Bauer inzwischen auch eine Frau und ein dreijähriges Kind zu Hause. Da geht man nicht mehr so oft mit den Kumpels in die Kneipe. Sagt Bauer und schnalzt mit der Zunge, als wäre es schon schade, dass die alten Zeiten vorbei sind. Zumal die Frau es ohnehin nicht so toll findet, dass ihr Mann zehnmal im Monat in Gera, wo der Interconnex Richtung Rostock losfährt, übernachten muss und das Kind viel bei der Oma ist.

Und weil Bauer nicht nur Kundenbetreuer ist, sondern eben auch Fahrkartenverkäufer, muss er jetzt schon wieder los. Nach jedem Halt geht er einmal durch den Wagen durch, von vorne nach hinten. „Morn. Wo soll’s denn hingehen?“, fragt er an jedem Sitzplatz, also fast 100-mal. „Von Berlin nach Rostock? 13,95 Euro bitte“, Steffen Bauer tippt in das Fahrkartengerät, das er in der Hand hält. Bei der Bahn kostet die Fahrt 33,40 Euro, mit Bahncard 16,70 Euro.

Weil der Connex-Zug so billig ist, bringt er Menschen dazu, das zu tun, wovon Bahnchef Hartmut Mehdorn immer nur auf den riesigen, teuren Werbeplakaten seines Unternehmens träumt: Sie steigen um. Vom Auto auf die Bahn. Die Mutter mit den zwei kleinen Mädchen wäre sonst Auto gefahren, obwohl Zugfahren mit Kleinkindern bequemer ist, „aber Bahn ist mir einfach zu teuer“. Auch der Mutter von Paul, der zehn Monate alt ist, im Business-Abteil auf dem Boden sitzt und akribisch ein Manager Magazin zerfetzt. Eigentlich hat sie kein Ticket für die Business Class. Aber der Kundenbetreuer hat sie hierher gelotst, weil der Zug an diesem Donnerstagmorgen so voll ist, schließlich sind seit Berlin sogar die Gänge besetzt, von einer Gruppe Jungpunks, die an die Ostseeküste fahren.

Der Kundenbetreuer entschuldigt sich: „Ich muss jetzt mal ein bisschen das Klo heile machen“

Die lässt Bauer am Boden sitzen, obwohl sie Musik hören und Bier trinken, „aber was soll ich Ärger machen? Da hab ich auch nix von.“ Also setzt er lieber die Reisenden, die genervt sind, woandershin, notfalls eben auch in die Business-Klasse. Und die Punks sind zufrieden.

Natürlich gibt es auch Ärger. Einmal, igitt, der Kundenbetreuer zieht die Augenbrauen hoch, da hat ihm eine Frau den Gang voll gekotzt. Und er durfte es wegwischen – auch so etwas, das bei der Bahn nie gestimmt hat: Da, sagt er, habe es nur einmal im Jahr Einmalhandschuhe gegeben, „Sie glauben doch nicht, dass ich dann so was wegputze, wenn ich die Handschuhe danach wieder in die Tasche stecken soll, nicht mal ich mache das.“ Im Interconnex sind massenweise Handschuhe vorhanden, Schmierseife, Schrubber und Glasrein auch.

Im Business-Abteil liegen kostenlose Zeitungen aus – außer Manager Magazin noch Berliner Kurier, Spiegel, Bunte, Wirtschaftswoche, Leipziger Volkszeitung. Es gibt zwei Arbeitsplätze mit Laptop und Internetanschluss. Eine halbe Stunde online arbeiten kostet 4 Euro, ohne Internet 1,30 Euro. Bei der Bahn gibt es nur Steckdosen, den Laptop muss man selber mitbringen. Die Business Class kostet 10 Euro mehr als die Traveller Class, dafür ist ein Lunchpaket im Preis inbegriffen, ein Sandwich, ein Pfirsich, ein Joghurt, ein Schokoriegel. Und zwei einfache Getränke nach Wahl. Die bringt Bauer persönlich: „Was darf’s bei Ihnen sein? Ein Piccolo? 2,50 Euro. Zum Wohl.“ Der kleine Sekt bei der Bahn kostet 5,90 Euro.

Im Vergleich zur großen Konkurrentin ist hier alles mini, mit einem Handgriff zu erreichen, ein bisschen improvisiert, fast wie im Campingwagen. Eine Miniausgabe der Speisewagen-Küchen, die es früher in den Fernverkehrszügen der Bahn AG gab. „Kein Wunder, dass die Bahn so teuer ist“, sagt Bauer. Die Bahn schleppt einen großen Apparat mit sich herum. 215.000 Menschen sind darin beschäftigt. Der Konkurrent hat 3.000 Mitarbeiter. Connex handelt mit dem Vorsatz klein und billig, die Bahn bevorzugt groß und teuer. „Die Fernzüge der Bahn zum Beispiel“, sagt Bauer. „Sie sind groß und teuer.“ Ein Doppeltriebwagen von Connex hat 100 Sitze und kostet 3 Millionen Euro. Ein ICE der Deutschen Bahn kostet 19 Millionen. 800 Fahrgäste passen da rein, unter der Woche ist der ICE aber oft halb leer. Die Bahn bezahlt trotzdem vier bis fünf Schaffner pro Zug. Sie bezahlt jemanden, der sich mit dem Speise- und Getränketrolley durch die Zuggänge quält, und sie bezahlt Fahrkartenschalter mit Personal.

Im Interconnex heißt der Fahrkartenschalter Bauer. Auch der Schaffner und der Mann von der Minibar heißen Bauer. Er sagt, dass er das gut findet. „Man muss natürlich für so einen Job geboren sein. Ich bin einer, dem das Spaß macht, so alles auf einmal zu machen und dann noch nett zu sein mit den Leuten.“ In Schublade zwei befindet sich, gut verschlossen, eine Kasse. Dahinein zählt er kurz vor Rostock seine Einnahmen. „Aber eines muss ich sagen: Stressiger als früher bei der Bahn ist es hier auch.“ In Rostock steigt er aus, wartet, bis die Fahrgäste alle weg sind, und raucht eine Zigarette.