Echt ist einzig der Suizid

Wie ein Android zwischen die Kleinbürgerlichen gefallen: Sandra Strunz inszeniert am Schauspielhaus Henrik Ibsens „Hedda Gabler“

von PETRA SCHELLEN

Die Fortsetzung ist die Falle. Gefährlich, weil ständig von dem exorbitanten Anspruch gepeinigt, sich selbst übertreffen zu müssen. Jedenfalls war es keine gute Idee, Ibsens Hedda Gabler auf die große Schauspielhaus-Bühne zu bringen, wo Sandra Strunz‘ Inszenierung der Frau vom Meer auf der Malersaal-Bühne im Oktober 2001 doch so klaustrophobisch dicht funktioniert hatte.

Nur schwach gebrochen kommt schon das Bühnenbild (Katrin Hoffmann) daher, mit Spitzendeckchen-Vorhang samt Blümchen, Tisch und Sessel. Später wird gar die olivgrün-düstere Textiltapete bemüht, die jede herkömmliche Ibsen-Inszenierung ziert. Entsprechend verloren sitzt Hedda (Wiebke Puls) zwischen dem Müll-Geröll – ein Android, freiwillig in die Ehe mit Forscher Jörgen Tesman (Bernd Moss) gegangen, aber angesichts der Langeweile ständig geladen. Sie verachtet die Puschigkeit ihres rückwärts gewandten Mannes und ist doch selbst gefangen in ihrer Sozialisation als Generalstochter; ihre einzige Mitgift sind zwei Pistolen.

Wie sie leben will, weiß sie allerdings nicht. Und so zerstört sie aus Lust an der Macht die Freundschaft ihres Ex Eilert Lövborg (extrem farblos: Joachim Meyerhoff) mit ihrer Ex-Kameradin Elvsted (Caroline Peters). Sie treibt Lövborg zurück zum Suff, später in den Selbstmord. Aber richtig fröhlich wird Hedda erst, als das von ihre angezettelte Chaos ausbricht.

So weit, so destruktiv. Und doch fragt man sich, ob dieses Stück – seinerzeit die ihrer selbst überdrüssige bürgerliche Gesellschaft illustrierend – heute dringend gespielt werden muss. Denn auch, wer dem Entwicklungsgedanken nicht nachtrauert, gerät nach der Halbzeit ins Gähnen. Sandra Strunz hat nämlich ein bloßes Standbild geschaffen, komponiert aus endlos gedehnten, blutleeren Dialogen und statisch choreographierten Familienbildern.

Die Differenz zwischen Schein und Sein wollte die Regisseurin entblößen, das Geheuchel der Gesellschaft, das Hedda durchschaut, anprangern. Doch davon findet sich wenig in der Inszenierung: Die beiden Welten werden weder konfrontiert noch ineinaner geschnitten, sondern fließen kalt und glatt aneinander vorbei: Hedda ist wie ein falsch geformtes Puzzlestück zwischen die anderen geraten, die sie schlicht nicht hören können.

Nur Hedda selbst offenbart die Spaltung: Nichts bleibt von der markanten Persönlichkeit, als die sie sich inszeniert, als Brack nach Alternativen fragt. Stattdessen kommen eine zerfallende Identität und vage Vorstellungen vom ganz Anderen zum Vorschein, das die anderen erschaffen sollen: Lövborg etwa soll sich „in Schönheit umbringen“, fordert sie. Und so bleibt Hedda genauso mumifiziert wie ihre Umgebung, aus der sie sich schließlich per Suizid katapultiert.

Auch zum Schluss gelingt Strunz – anders als in der Frau vom Meer – keine Überraschung: Hedda kreischt und kreischt vom ästhetischen Selbstmord, milde belächelt von den anderen. Eine auf den ersten Blick hilflose Lösung, die nur dann stringent erscheint, wenn man das Stück als Abgesang auf eine Generation betrachtet, der außer Verweigerung wenig zur Gesellschaft einfällt und die irgendwann von hinnen schwächelt.

Trotzdem: Gebrochen wird der Text nur selten, und wenn Caroline Peters Textteile in Pollesch-Manier durchdekliniert, ist das zwar ein interessantes stilistisches Zitat, hilft aber auch nicht weiter. Bleibt der erwiesenermaßen urkomische Slapstick. Aber um dieses Effekts willen hätte man natürlich auch einen anderen Stoff wählen können.

nächste Vorstellungen: 9., 17. + 19.10., 20 Uhr, Schauspielhaus