Fußball aus der Tiefkühltruhe

Borussia Dortmund gewinnt seine Partie gegen den PSV Eindhoven mit 3:1 und erhält sich damit alle Chancen,auch weiterhin durch die Champions League rotieren zu dürfen. Selbst Sebastian Kehl findet das so in Ordnung

EINDHOVEN taz ■ Das Opium des Erfolgs auf der großen Bühne des Fußballs, es hatte auch Sebastian Kehl ganz fest in Besitz genommen. Gerade hatte die Dortmunder Borussia mit einem verdienten 3:1 beim PSV Eindhoven den ersten Auswärtssieg seit fünf Jahren in der Champions League eingefahren (gleichzeitig war es der erste BVB-Sieg gegen ein holländisches Team), da täuschte der Nationalspieler in den Katakomben des Philips-Stadions keck einen Ausflug in eine andere Sportart an. „Wollt ihr auch etwas essen?“, fragte Kehl übermütig die Meute der Journalisten, die ein paar Meter entfernt warteten; dann warf er seinen glücklicherweise noch leeren Plastikteller in eine imaginäre Frisbee-Flugkurve. Siege, zumal die souveränen, fallen eben doch leichter als Niederlagen.

Dabei war Kehl recht spät erst, nämlich elf Minuten vor Schluss, zum Einsatz gekommen. „Natürlich spiele ich lieber von Beginn an“, sagte der 21-Jährige später dazu in die Mikrofone, „aber der Trainer hat nun einmal so entschieden.“ Sein Unterton war dabei übrigens völlig frei von Ironie, jenem Stilmittel, das ein angefressener Kehl im Bedarfsfall schon mal gerne als Waffe einsetzt. Nein, die Worte durften tatsächlich als Anerkennung für ein System gewertet werden, dessen gängiger Fachterminus beim BVB kürzlich noch dem Reich der verbotenen Vokabeln zugeordnet wurde: der Rotation. Zwar wird sie von Trainer Matthias Sammer derzeit nur sehr zart, weil noch nicht konsequent in allen Mannschaftsteilen angewandt, doch ist sie speziell auf Kehls Lieblingsposition schon fast schöne Regelmäßigkeit: Im defensiven Mittelfeld, diesem konditionell äußerst anspruchsvollen Part im modernen Fußball, agierten Kehl sowie Torsten Frings in den letzten Spielen nämlich nur noch als Teilzeitkräfte. „Jeder braucht auch seine Pause“, kommentierte Kehl mit großer Gelassenheit am Mittwochabend das neue Dortmunder Arbeitszeitmodell. „Torsten war zuletzt auch zweimal draußen – und wie man gesehen hat, tut das allen ganz gut.“

Der junge Kehl scheint die Notwendigkeit dieser für Spielerpsychen recht sensiblen Praxis verinnerlicht zu haben. Hat die Mannschaft in Eindhoven doch die Ernte dieser bitter-süßen Frucht eingefahren. Dabei haben die Dortmunder wahrlich keine spektakulären Zaubereien aufgeführt, der deutsche Meister spielte vielmehr einen abwartenden, auf den ersten Blick fast leidenschaftslos wirkenden Ergebnis-Fußball. Borussia kontrollierte den PSV mit der frostigen Kälte einer Tiefkühltruhe. Allein die Zahlen der vorzüglich operierenden und aus Metzelder, Madouni, Wörns und Dede gebildeten Viererkette sprachen für sich – sie hatte in der ersten Hälfte lediglich zwei brenzlige Situationen zu überstehen. Und auch in der hektischen Schlussviertelstunde, die überhaupt nur so zustande kam, weil Remco van der Schaaf einen aus 25 Metern abgefeuerten „Sonntagsschuss“ (Sammer) in den rechten Torwinkel platziert hatte, geriet die Defensive nicht in Panik.

Im konstruktiven Spiel existieren indes noch erhebliche Defizite bei der Borussia. Das erkannte auch Michael Zorc, so sehr ihn die „bisher beste Saisonleistung“ auch erfreute. Alle drei Dortmunder Tore entsprangen mehr den haarsträubenden Abspielfehlern der Gegner als dem eigenen Genie. „Wir würden ganz gerne auch spielerisch dominieren“, räumte der Sportdirektor ein, momentan aber stehe nun einmal die Sicherheit im Vordergrund. Für die Partie in Eindhoven hätte sich diese taktische Ausrichtung ohnehin von selbst ergeben, „wir wussten ja, dass die unbedingt gewinnen mussten“.

Zorc lobte vor allem Keeper Jens Lehmann sowie den zentralen Mittelfeldspieler Rosicky („sensationell, wie der seine spielerische Klasse mit dem Abschluss verbindet“). Auch allen anderen ist klar, wie sehr gerade die Leistungen dieser beiden das neue System stützen. Sie sind die beiden Konstanten in der Rotation, alle anderen im gut besetzten Kader werden wohl auch in Zukunft zurückstecken müssen. Solange dies „von Erfolg gekrönt ist“, glaubt Stefan Reuter, „ist das für die Mannschaft auch nachvollziehbar“. Die Brüchigkeit zeigt sich erst im Antlitz der Niederlage. ERIK EGGERS