Die ornithologische Konstante

Nach dem Sprungwurf ist vor dem Sprungwurf: Alba Berlin ist mit Beginn der Basketball-Bundesliga der natürliche Favorit. Die Albatrosse sind das Geflügel der Wahl im deutschen Korbwurfrevier. Köln, Bonn und Frankfurt versuchen dagegenzuhalten

Der Albatros, der dominante Vogel vom Prenzlauer Berg, flattert allerorten

aus Berlin MARKUS VÖLKER

Es quietscht. Sohlen schlieren wie stumpfe Kreide über eine Tafel. Ein Ball wummert aufs Parkett. Der Trainer raunt Anweisungen – die einzigen Geräusche in der Max-Schmeling-Halle. Seltene Töne sind das, gedämpfte Trainingstöne, die im akustischen Orkan des Spiels untergehen, überlagert von den Schallwellen der begeisterten Masse.

Alba trainiert, ein paar Tage vor Saisonbeginn. Etwa 50 Anhänger kiebitzen auf den Rängen. Als sich ein paar Kinder regen, ermahnt sie Emir Mutapcic, der Coach, doch bitte ruhiger zu sein. Die Spieler müssten ihn verstehen. Das sei im Training sehr wichtig, erklärt er. Die Kids kapieren: Krach darf heut nicht gemacht werden.

Der Kontrast zum Sonntag, wenn Alba Berlin sein erstes Heimspiel gegen Ludwigsburg in der 6.000 Zuschauer fassenden Halle absolviert, könnte größer nicht sein. Dann wird wieder die Hölle los sein. Trommeln werden geschlagen, Puschel geschwenkt, und die Stimmen der Alba-Fans werden kratzig klingen von den vielen Anfeuerungsrufen, die sie durch die Arena schicken. Mutapcic wird sonntags brüllen müssen, um seine Mannen zu erreichen. Er wird nicht zornig sein über die ungebärdigen Fans, denn sie sind das untrügliche Zeichen, dass es endlich wieder um etwas geht im deutschen Basketball. Die Saison hat begonnen.

Am Anfang einer Spielzeit stellt sich die Frage, was sich verändert hat. Eine Menge hat sich getan, könnte man sagen. Noch nie wurde soviel transferiert, Spieler hin- und hergeschoben und an der Zusammenstellung des Kaders gearbeitet. Auch bei Alba. Die Leistungsträger Phelbs, Alexis und Koturovic sind weg und Neue da, darunter der 2,07 Meter große Jovo Stanojevic von Partizan Belgrad, im vergangenen Jahr wertvollster Spieler in der starken jugoslawischen Liga. Eine Antwort könnte aber auch lauten: So viel hat sich nicht getan. Denn egal welche Prognose gestellt wird, ohne den Albatros, den federnen Glücksbringer der Berliner, kommt keines der Meisterschafts-Orakel aus. Der dominante Vogel vom Prenzlauer Berg flattert allerorten, sogar durch die Gremien der Basketball-Bundesliga (BBL), die eine Anregung der Hauptstädter aufgriff und den Einsatz von zwölf statt zehn Spielern in jedem Match erlaubte.

Die ornithologische Konstante ist nicht jedem Recht in der Bundesliga, vor allem jenen, die auf Abwechslung und Kurzweil stehen. In den letzten Jahren wurde stets Alba Meister. Und auch die Erfolge des Nationalteams bei der Weltmeisterschaft in den USA schreibt sich Alba auf seine Fahnen. „Ohne uns hätte es den Bronze-Triumph nicht gegeben“, sagte Präsident Dieter Hauert neulich. Fünf USA-Reisende sind durch die Berliner Schule gegangen. Aber selbst in Berlin ist die Krise der Wirtschaft spürbar. Zwar bleibt Alba der mit fünf Millionen Euro größte Etat der vierzehn Mannschaften, doch verzeichnete man wegen Einbußen der Europaliga ein Minus von einer Million im Vergleich zum Vorjahr. Die gesamte Liga muss sparen, von Weißenfels bis Braunschweig.

Da kann die BBL noch von Glück reden, dass die Welle des Erfolgs, angestoßen vom NBA-Profi Dirk Nowitzki, die Skrupel der Fernsehanstalten hat wachsen lassen, Basketball vom Schirm zu nehmen. Im Gegenteil. Auf Sat.1 und DSF steigen die Sendeminuten sogar leicht an. Groß war der Unmut nach der WM-Übertragung der ARD, die wegen der Zeitverschiebung auch noch in die Nacht fiel.

„Die ARD hat einen Auftrag der Öffentlichkeit“, schimpfte BBL-Commissioner Otto Reintjes, „dem sie in diesem Fall kaum nachgekommen ist.“ Reintjes ist es leid, im Zuge der erfolgreichen WM – wie schon nach dem EM-Sieg 1993 – auf einen Hype zu hoffen. Das wäre ohnehin illusorisch. Langfristig bleibe es freilich beim Ziel, Basketball auf den zweiten Platz der Beliebtheitsskala zu hieven, doch im Hier und Jetzt müsse man realistisch bleiben. Spätestens 2004 soll nur noch in modernen Arenen geworfen werden. Endlich weg vom piefigen „Turnhallen-Image“ will der Commissioner Reintjes, dessen Berufsbezeichnung allein schon ein Versprechen an die Zukunft ist. Nicht unwahrscheinlich ist eine Aufstockung der Liga auf 16 Teams. Das Ziel, neue Basketball-Fans zu gewinnen, will Reintjes mit einem Kino-Spot erreichen, der in allen UFA-Theatern läuft.

Die Anhängerschaft von Alba Berlin ist auf die Fiktion eines Kinostreifens nicht angewiesen. Für sie sind die Alba-Spiele der Film, in dem sie Regie führen, wie auch Pesic, Lütcke und Co., die beim letzten Training auffällig viele Fastbreaks übten. Fragt sich, ob die Teams aus Köln, Bonn, Frankfurt oder Bamberg dem temporeichen Spiel des Branchenführers Paroli bieten können.