Verschwörungstheorien

betr.: „Kanzler Schröder ist der einzige Proamerikaner“, Interview mit Johan Galtung, taz vom 28. 9. 02

Über folgende Äusserung von Galtung war ich schockiert – und zwar aus anderen Gründen, als manche vielleicht erwarten mögen: „Der Plan ist, dass Scharon zwei Millionen Palästinenser über den Jordan abschiebt, also eine mögliche Verwirrung durch den Irakkrieg ausnutzt, um die Palästinenser loszuwerden. Das dürfte mit Washington abgesprochen sein.“ Galtung sagt dies unbekümmert mit einer frappierenden Selbstgewissheit dahin.

Mir erscheint Galtungs Befürchtung absurd. Ich denke, man müsste nicht einmal die politische Moral, sondern lediglich die Interessen und die politische Klugheit bemühen, um zu dem Schluss zu kommen, dass weder die USA eine derartige völkerrechtswidrige Vertreibung unterstützen oder zulassen würden, noch Israel ein derartiges Verbrechen begehen wollte. Für die Weissagung Galtungs lässt sich nur schwer politisch argumentieren. Plausibel wird sie nur, wenn man hinter der USA und Israel das Wirken des radikal Bösen vermutet.

Man ist ja inzwischen daran gewohnt, dass Scharon moralisch diskreditiert und dämonisiert wird, und Galtung gehört offenbar auch zu denen, die so denken. Man schreitet hier allzu leichfertig von einer politischen und moralischen Kritik des Handelns zur moralischen Beurteilung der Person, die dieses Handeln zu verantworten hat. Respekt vor Joschka Fischer, der sich von derartigen Kurzschlüssen fernhält und bei aller Kritik an Israels Politik Bereitschaft zeigt, zuzuhören und die Position von Scharon, die dahinterliegenden Gründe, Motive und Lebenserfahrungen auch zu verstehen und nicht simpel ins moralische Abseits zu stellen. Gerade Herr Galtung müsste ja doch wissen, dass man Friedensarbeit nicht wie ein Missionar betreiben kann. Mir scheint, dass aber gerade dies Herr Galtung tut.

Aber es geht nicht nur um Scharon. Nehmen wir einmal – im striktesten Irrealis – an, Scharon wollte wirklich zwei Millionen Palästinenser bei günstiger Gelegenheit vertreiben. Könnte er es denn auch tun? Israel ist eine Demokratie. Würde nicht die Koalition sofort platzen? Würde es nicht einen Aufschrei in Israel geben? Herr Galtung traut eben nicht nur Scharon ein derartig horribles Verbrechen zu; er traut es den Israelis zu, den Juden. Das ganze Interview ist voll von Verschwörungstheorien, die das radikal Böse festzumachen suchen. Mit dem Finger wird immer auf Amerika und Israel gezeigt. Wenn zum Antisemitismus die innere Bereitschaft gehört, den Juden die schlimmsten Verbrechen ohne weiteres zuzutrauen, dann ist Galtungs Äußerung im höchsten Masse antisemitisch. […] MICHAEL FIRSCHING, Berlin