SSS verfolgte gezielt Linke

Die Vorläufergruppe der „Skinheads Sächsische Schweiz“ sammelte Namen von „Leuten aus der Antifa“. Ein Zeuge sagt im Prozess gegen die SSS aus, die Namen seien regelrecht verlost worden – dann sei man zur Tat geschritten. Kontakte zur NPD

„Die Bewaffnung brachte jeder selbst mit“ – Knüppel oder Schlagstöcke

aus Dresden HEIKE KLEFFNER

Das Geständnis des 24-jährigen Angeklagten Martin D. war ausführlich. Über sechs Stunden schilderte der Hilfsarbeiter aus Pirna am Dienstag im voll besetzten Saal des Dresdner Landgerichts, wie die inzwischen verbotene Neonazigruppierung Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) ihr Ziel umsetzte – in der Region „für Ruhe und Ordnung“ zu sorgen. D. belastete sich selbst und mehrere Mitangeklagte schwer. Mitglieder der SSS und ihrer Vorfeldgruppen, die als „Aufbauorganisation Unteres Elbtal“ und „Oberes Elbtal“ firmierten, hätten gezielt Informationen über junge Linke in Pirna gesammelt, sagte D. Adressen und Fotos der Betroffenen seien von einem Mitangeklagten in einem Ordner zusammengefasst worden. Wer wollte, konnte sich aus dem Ordner bedienen.

Bei einer Sitzung der „Aufbauorganisation Unteres Elbtal“, der Martin D. mit 15 anderen rechtsextremen Skinheads angehörte, seien Namen und Adressen von „Leuten aus der Antifa“ regelrecht verlost worden. „Fast alle haben einen Zettel gezogen“, erinnerte sich D. – dann sei man zur Tat geschritten.

Die Betroffenen erhielten Drohanrufe am Telefon. Die Rechten postierten sich vor ihren Wohnungen und fotografierten sie. Mehr als einmal überschritt die SSS dabei die Schwelle zur körperlichen Gewalt. „Im Frühjahr 1999 haben wir in der Innenstadt von Pirna mehrmals in der Woche Linke gejagt“, berichtete D. mit monotoner Stimme. Mal traf der Terror der SSS eine Gruppe beim Grillen am Elbufer bei Pirna, ein anderes Mal überfielen vermummte und bewaffnete SSS-Aktivisten die letzten Besucher eines nichtrechten Konzerts. „Die Bewaffnung brachte jeder selbst mit“, sagte D. aus – Knüppel, Schlagstöcke, manchmal Schreckschusspistolen.

Darüber hinaus sei auch der Aufbau einer Wehrsportgruppe geplant gewesen. Manche SSSler hätten mit scharfen Waffen auf Schießplätzen trainiert.

D. berichtete auch von organisatorischen Verbindungen. Es habe Kontakte zur NPD gegeben. SSS-Aktivisten seien als Ordner bei NPD-Veranstaltungen aufgetreten; Anwälte der NPD hätten Rechtsschulungen durchgeführt. Auch habe die SSS aus den Kommunen der Sächsischen Schweiz Informationen bezogen. So habe sich einer der Mitangeklagten mehrfach damit gebrüstet, dass seine Kousine – eine Polizeibeamtin – ihn vor Razzien warnen würde. „Die Informationen stimmten immer“, so D.

Nach seiner Motivation für sein Geständnis befragt, erklärte D., er habe „reinen Tisch“ machen wollen, nachdem er im Frühsommer 1999 aus der „Aufbauorganisation“ ausgestiegen sei und eine Haftstrafe wegen Brandstiftungsdelikten antreten musste. D. betonte, dass ihm für seine Kooperation mit den Ermittlern keine Vergünstigungen versprochen worden seien. Er habe auch nicht für den Verfassungsschutz gearbeitet. Zu Prozessbeginn hatte das Gericht vergeblich versucht, vom sächsischen Innenministerium nähere Informationen über V-Leute des Verfassungsschutzes bei der SSS zu erhalten. Aussetzungsanträge in diesem Zusammenhang hat der Vorsitzende Richter Tom Maciejewski vorerst zurückgestellt.

Die sechs Mitangeklagten verfolgten D.s Aussagen gelangweilt. Rechtsanwalt Günther Herzogenrath-Amelung, der den SSS-Gründer Thomas Sattelberg verteidigt, reagierte mit dem Kommentar, er könne nicht erkennen, dass es gegen Recht verstoße, „den Bürgern von Pirna Ruhe vor Kleinkriminellen und Kiffern zu verschaffen“.