Neue Chance für das junge Glück

Harmonie bei den rot-grünen Koalitionsverhandlungen: Ganztagsschulen und zusätzliche Krippenplätze sollen die Wende in der Familienpolitik bringen

aus Berlin HEIDE OESTREICH

Ist es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, wenn Verhandlungen schnell beendet sind? 18 Uhr, 17 Uhr 30, 17 Uhr: Die Pressekonferenz rutschte immer weiter nach vorne, als die rot-grünen Koalitionspartner am Mittwoch über Bildung und Familie verhandelten. Ein gutes Zeichen sei das, meinte die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth, die nach der Verhandlung auf der Suche nach Journalistenohren durch die SPD-Zentrale tigerte. „Heute war’s gut“, verkündete sie frohgemut.

Tatsächlich ist es nicht verwunderlich, dass es „heute gut“ war, denn in Sachen Kinderbetreuung und Bildung wollen SPD und Grüne ungefähr dasselbe. Euphorisiert wirkten SPD-Generalsekretär Franz Müntefering und Grünen-Cochef Fritz Kuhn bei Verkündung der Ergebnisse wohl vor allem deshalb, weil sie sich nicht hatten vorstellen können, dass sie ihre eigenen Wahlversprechen tatsächlich einhalten.

Geeinigt hat man sich vor allem auf SPD-Niveau. Auf nationale Bildungsstandards etwa, die ein Bund-Länder-Gipfel definieren soll. Oder darauf, dass der Bildungsetat aufgestockt wird. Um wie viel, wollte Müntefering noch nicht beziffern. Als Anschubfinanzierung für Ganztagsschulen werden in den nächsten vier Jahren nicht sieben Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, wie die Grünen planten, sondern vier Milliarden Euro, also die SPD-Summe. 10.000 Ganztagsschulen bundesweit lautet die Zielmarge.

Darüber hinaus möchte die Bundesregierung auch noch die Kleinkindbetreuung vorantreiben, und zwar ernsthaft. Per Gesetz will der Bund die Länder dazu bringen, für jedes fünfte Kind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz sicherzustellen. Parallel zum generellen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, den das Kinder- und Jugendhilfegesetz heute schon vorschreibt. Dieser Gesetzesnovelle muss der Bundesrat zustimmen – „das wird natürlich heikel“, so die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Irmingard Schewe-Gerigk. Ohne Gesetz bliebe diese Betreuungsart ein Traum. Zu viele Kommunen stecken mittlerweile derart in den Miesen, dass sie gar keine freiwilligen Leistungen anbieten dürfen.

Wie bekommt man die Länder nun dazu, einer solchen Gesetzesänderung zuzustimmen? Indem man sie mit einem Finanzierungskonzept lockt. In diesem Fall heißt das Konzept: Reiche Ehepaare zahlen mehr Steuern. Tatsächlich will die Koalition das Ehegattensplitting „abschmelzen“. Aus steuerlichen Gründen zu heiraten, hat sich bislang vor allem für Paare gelohnt, bei denen der eine Partner nichts oder nur wenig verdient. Denn die Einkünfte eines Ehepaares werden vom Finanzamt zusammengezählt und dann durch zwei geteilt – also „gesplittet“. Weil der prozentuale Steuersatz für niedrige Einkommen sehr viel geringer ist als für hohe, verhilft diese Methode dem gut verdienenden Partner zu wesentlich geringeren Steuern.

Dieser Vorteil wird von konservativer Seite mit Klauen und Zähnen verteidigt, doch könnte man ihn – mit einer angemessenen Übergangsfrist – durchaus begrenzen (siehe unten). Die Steuerersparnis durch das Splitting dürfte dann einen bestimmten Fixbetrag nicht mehr übersteigen.

Die Gesamtsumme, die dem Staat bislang entgeht, wird etwa auf 23 Milliarden Euro geschätzt. Davon will die Koalition nun 1,5 bis 2,5 Milliarden Euro abschöpfen. Das würde etwa die oberen zehn Prozent der Einkommen treffen, meinte Fritz Kuhn. Damit ließe sich für jedes fünfte Kleinkind unter drei Jahren ein Krippenplatz finanzieren. Eine DIW-Studie bezifferte die Kosten auf 1,5 Milliarden Euro.

Ob es nun wirklich ein gutes Zeichen war, dass die Koalitionäre schon um 17 Uhr in den Feiertag düsten, ist allerdings die Frage. Wenn sich die Koalition beim Ehegattensplitting nicht durchsetzen kann, kann sie ihre Kinderbetreuung vergessen. In den Sternen steht auch, wo Rot-Grün jene vier Milliarden Mark hernimmt, mit denen der Ausbau von Ganztagsschulen angeschoben werden soll. Darüber müsse man in den nächsten Tagen reden, sagte Franz Müntefering dazu nur. Hauptsache, für den Tag der deutschen Einheit hat man die sonnige Stimmung gerettet. Aber der Herbst kommt bestimmt.