Proteste in Paris

Rund 70.000 Menschen demonstrieren gegen Privatisierungspläneder französischen Regierung. Die Sozialdemokraten bleiben zu Hause

PARIS taz ■ „Rühr meinen öffentlichen Dienst nicht an“, skandierten gestern in Paris Zigtausende auf der ersten großen Demonstration gegen die rechte Regierung. Besonders engagiert waren die MitarbeiterInnen des noch staatlichen Gaskonzerns GDF sowie des weltweit größten Elektrizitätskonzerns EDF, die privatisiert werden sollen. Die „Elektriker“ fürchten nicht nur um ihr Beamtenstatut und ihre Altersversorgung, sondern auch um die strahlende Zukunft des französischen Atomparks. „Ein Albtraum“, hieß es gestern auf dem Pariser Asphalt immer wieder, „wenn die Sicherheit in den Atomkraftwerken den Gewinninteressen einer Aktiengesellschaft untergeordnet wird.“

Rund 70.000 Demonstranten folgten dem Aufruf, zu dem sich in seltener Einigkeit alle Gewerkschaften zusammengeschlossen hatten. Stark beteiligt waren auch Beschäftigte von Air France, deren bereits unter der rot-rosa-grünen Regierung teilprivatisiertes Kapital „demnächst“ weiter „geöffnet“ werden soll, sowie Beschäftigte der staatlichen Bahn SNCF. Bei der Demonstration vertreten waren auch alle linken Parteien außer der PS sowie Verbrauchervereine und Attac.

Die Demonstranten verteidigen die Reste eines sozialen Regimes, das unmittelbar nach Kriegsende eingeführt wurde. In jener Zeit, die von den sozialen Forderungen der kommunistischen Résistance geprägt war, waren viele Unternehmen von Kriegskollaborateuren verstaatlicht worden und waren die Konturen des flächendeckenden öffentlichen Dienstes und der auf dem Prinzip der Solidarversorgung basierenden Sozialversicherung eingeführt worden. Beide genießen seither in Frankreich eine hohe Wertschätzung.

Angriffe auf die öffentlichen Dienste haben mehrfach zu Protesten geführt. Zuletzt im Jahr 1995, als der konservative Regierungschef Alain Juppé versuchte, die Lebensarbeitszeit für Beamte zu verlängern. Er löste wochenlange Proteste und Streiks von Beamten aus, mit denen ein großer Teil der französischen Öffentlichkeit sympathisierte.

Für die rechte Regierung war der Aktionstag ein erster Test. Die De-facto-Abschaffung der Arbeitszeitverkürzung (das Gesetz über die 35-Stunden-Woche wurde durch ein enormes Überstundendeputat „angereichert“) hatte vor allem Proteste der PS ausgelöst. Die Aussicht auf weitere Privatisierungen hingegen mobilisiert die Bevölkerung.

DOROTHEA HAHN

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