Eine Tropenreise für die Sinne

Die neue Biosphärenhalle in Potsdam lädt zum Erforschen tropischer Wälder ein. Gartengestalter Fürst Pückler stand Pate für die Wissensvermittlung im Trend medialer Überversorgung. Hören, Riechen und Fühlen mittels Hightech und Effekten

von SOPHIE BAUER

Am Anfang informiert die Hausordnung: „Jedermann steht auf, wenn es ihm beliebt“ und „Vollständige Freiheit für Wirt und Gäste“. Das waren Prinzipien, die Fürst Hermann Ludwig Heinrich Fürst von Pückler-Muskau auf Schloss Branitz jedermann vor die Nase hielt. Sie stehen auch dem „Geheimen Garten“ vor, der unter der Namenspatenschaft des großen Gartengestalters in Potsdam entstanden ist.

Wer die neue Biosphärenhalle besucht, muss sich erst mal mit Pückler beschäftigen, der von 1785 bis 1871 in Muskau und Branitz bei Cottbus lebte und wirkte. Schon damals galt der wundersamen Naturwelt der Biosphäre sein ganzes naturwissenschaftliches Interesse, mal ganz abgesehen von der Auseinandersetzung mit der Chemie zwischen Mann und Frau, seiner großen Leidenschaft neben dem Reisen und Geldausgeben.

Als Schleuse zum tropischen Garten, den die Besucher am liebsten gleich und sofort betreten würden, fungiert Pücklers Studierzimmer. Davor heißt es erst mal warten, weil nicht mehr als zwanzig Zuschauer hineindürfen. Gezwungenermaßen betrachtet man die historische Arrangements in der Warteschleife, die den Lebemann Pückler in all seinen Facetten vorführen. So erfähren Besucher etwa, dass Pückler mit vier weißen Hirschen vor seiner Kutsche durch Berlin zu fahren pflegte, um im Café Kranzler den Damen die Köpfe zu verdrehen, deren Porträts an der Wand hängen. Oder, dass er – völlig pleite – seinen letzten Taler versetzte, um in einem Luftschiff über die Stadt zu tuckern. Dies alles wird dem bildungswilligen Besucher über ein funkgesteuertes Audiosystem mit Kopfhörer vermittelt, den man – will man nichts verpassen – die nächsten zwei Stunden nicht mehr vom Ohr nehmen sollte.

Endlich im Studierzimmer dann die erste Multimediashow. Pückler als 3 D-Animation sinniert über seine Liebe zum Reisen und zur Gartenkunst. Brav sitzen die Gäste und warten. Dann hat der Vortrag ein Ende, eine bis dahin unsichtbare Tür tut sich auf, und die Biosphäre darf betreten werden.

Ein Fahrstuhl führt hinab, und kaum hat man den ersten Fuß in die Dschungelhalle gesetzt, geht es weiter mit den Erläuterungen auf Pückler’sche Art. Dazu Geräusche von unsichtbarem Getier, Wasserrauschen, plötzlich Donnergrollen, dann zucken Blitze. Die anwesenden Kleinkinder kreischen und wollen sofort wieder hinaus, die Eltern jedoch bleiben stur, denken an den teuren Eintritt und schleifen die Kleinen zur Mangrovenstation. Ein sehnsüchtiger Blick gilt dem Restaurant, dass zwischen Bäumen und Blättern am oberen Rand der Halle seine Terrasse ausbreitet. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Das Audiosystem erklärt die ausgetüftelte Fortpflanzungsart der Mangrovenwälder. Immer wieder gleitet der Blick die hohen Bäume hinauf, die sich bis in die Blattspitzen mit Wasser versorgen müssen. Als die Kids auch mal pumpen dürfen, um zu testen, wie viel Kraft man braucht, um die letzten Blattspitzen mit dem lebenswichtigen Saft zu versorgen, steigt die Stimmung. Dann kommen noch die Insektenfokusse, durch die man den Blickwinkel von Fliegen oder Bienen einnehmen darf. „Cool“, urteilt ein zwölfjähriges Teenie. Den Kopfhörer, der den wissenschaftlichen Background liefert, hat sie allerdings schon längst abgestellt, weil ihr das Pückler’sche Erklären „zu dramatisch rüberkommt“.

Tasten, Fühlen, Entdecken ist denn auch das Wesentliche, was die Biosphärenhalle zu bieten hat. Ob Moose unter die Lupe nehmen oder tropische Heilpflanzen in der Schamanenhütte begutachten – überall geht es weniger um bloßes Lernen als ums Mitmachen. Lupen, Fernrohre, Höhrrohre und Monitore sind Werkzeuge, mit deren Hilfe sich die Wunder der Natur erschließen sollen. Wie fühlen sich verschiedenen Blätter an, was geht im Leben eines Pilzes vor sich? So kann man stundenlang zwischen den einzelnen Bereichen Luft, Wasser, Erde flanieren, irgendwann hat sich der Kreislauf auch an die feuchtwarme Luft gewöhnt in der 45.000 Quadratmeter großen Halle. Und packt einen der Durst, bietet die Bambusbar in neun Meter Höhe Cocktails und Kaffee. Von dort führt eine Brücke über die Wipfel, das Gewitter zu jeder vollen Stunde wirkt spätestens hier nicht mehr ganz so gruselig, weil es sich als Licht- und Klanginstallation nun wirklich auch für die Allerkleinsten enttarnt.

Nur im Luftschiff wird es dann wieder etwas wild. Ganz im Trend sämtlicher Erlebnismuseen wackelt der Boden im Kinoraum, und ein Video führt virtuell in luftige Höhen über Potsdam, Pückler ist wie immer mit an Bord.

Wieder an Land finden die Gäste des Fürsten schließlich doch noch den Weg ins Selbstbedienungsrestaurant „Luncheon“, trinken eine Limonade und schauen erschöpft über die tropischen Wipfel ins Weite des Buga-Parks. Die anwesenden Teenager sind mäßig beeindruckt von der Inszenierung im Dschungel, gelernt haben sie kaum etwas. „Zu verwirrend“ lautet ein Kommentar, zu viel Multimedia, zu wenig Möglichkeiten, sich zu konzentrieren. Man höre und staune. Dass auch reizgewöhnte Menschen gern etwas in Ruhe betrachten oder einfach auch nur mal nachlesen wollen, scheint den Ausstellungsmachern, die übrigens auch die Auswanderungshalle in Bremerhaven konzipiert haben und dessen Geschäftsführer Günther Irmler jahrelang Vorstandsvorsitzender des Musicalproduzenten Stella AG war, nicht in den Sinn gekommen zu sein. Für Bildungsbürger, die etwas über den Tropenwald erfahren wollen, ist der Botanische Garten in Berlin dann vielleicht doch eher eine Reise wert. Trotz oder gerade wegen Pückler.