SERBIENS MILOŠEVIĆ UND KROATIENS MESIĆ VOR DEM UN-TRIBUNAL
: Frieden braucht Wahrheit

Mit dem Serben Slobodan Milošević und dem Kroaten Stipe Mesić trafen in der vergangenen Woche nicht nur zwei Personen aufeinander – sondern zwei völlig unterschiedliche politische Denkrichtungen. Zwar betrachteten große Teile der Bevölkerung in beiden Ländern den Schlagabtausch zwischen dem ehemaligen serbischen und jugoslawischen Präsidenten und dem heutigen Staatsoberhaupt Kroatiens wie einen Boxkampf, bei dem die jeweils eigene Seite es der anderen möglichst treffsicher „zeigt“. Doch ganz folgenlos wird, so ist zu hoffen, die Aussage Mesić’ vor dem Kriegsverbrechertribunal der Vereinten Nationen in Den Haag dennoch nicht bleiben.

Dass Milošević nicht in der Lage ist, die eigene Schuld am Zerfall des alten Jugoslawiens einzugestehen, ist keine Überraschung. Der ehemalige jugoslawische Präsident kämpft mit der von ihm kreierten Propaganda um seine Position und persönliche Stellung. Jeden Hinweis auf serbische Verbrechen kontert Milošević mit dem Hinweis auf die Verbrechen, die andere gegen Serben verübt haben. Und zumindest bisher kommt das in der serbischen Öffentlichkeit gut an. Milošević will und kann nicht eingestehen, dass sowohl der serbische Angriff auf Kroatien als auch der auf Bosnien bis in die Einzelheiten geplant und zwischen militärischen und zivilen Stellen koordiniert war; dass die Vertreibung von Nichtserben aus den eroberten Gebieten Ziel und nicht Folge des Krieges war; und dass die damit verbundenen Verbrechen bewusst in Kauf genommen wurden. Politisches Ziel war, die „ethnisch gesäuberten“ Gebiete zu „serbischen“ Gebieten zu erklären. Was ja auch, zumindest, was Bosnien betrifft, gelungen ist, wie die Existenz der Republika Srpska bis heute beweist.

Diesen Zusammenhang hat Stipe Mesić eindrucksvoll erläutert. Wenn er, selbst vor diesem Gericht, die „eigenen“, also die kroatischen Kriegsverbrechen anprangert und Kroatiens Expräsident Franjo Tudjman dafür kritisiert, in Bosnien mit Milošević kooperiert zu haben, dann geht Mesić zwar einen Konflikt mit den Nationalisten zu Hause ein. Doch Kroatiens Staatsoberhaupt weist so auch den Weg für andere Kroaten. Denn: Wer wirklich den Frieden will, muss zuallererst die „eigenen“ Verbrechen eingestehen und zu verarbeiten suchen. In Deutschland hat man dafür eine ganze Generation lang gebraucht.

Dass in Serbien bisher nur eine kleine, intellektuelle Minderheit dazu bereit ist, ist bedauerlich. Um das Gift der falschen Ideologie loszuwerden, muss die serbische Gesellschaft in den für sie schmerzlichen Prozess eintreten. Wenn sie bleibt, wie sie ist, wird sie keinen Frieden finden können. Auch nicht mit sich selbst. ERICH RATHFELDER