„Wir sind uns nicht einig“

Die belgische Sozialistin Anne van Lancker kritisiert Papier der Linken zur Zukunft der EU. Deutsche und französische Ziele seien nicht so einfach unter einen Hut zu bringen

taz: Die Sozialisten im Konvent – immerhin ein Drittel der Mitglieder – haben ein erstes Positionspapier zur Zukunft der EU vorgelegt. Da steht nichts Neues drin. Sie haben nicht einmal eine Position zu der Frage, wer den Kommissionspräsidenten wählen soll. Wovor haben die Sozialisten Angst?

Anne van Lancker: Was die soziale Frage angeht, hat das Papier eine starke Botschaft. Keiner der Vorschläge von anderen politischen Familien enthält dazu eine Aussage. Was die institutionellen Fragen angeht, ist das Papier wirklich schwach. Wir konnten noch keinen Konsens zwischen den unterschiedlichen Ländergruppen in unserer politischen Familie finden. Aber der Konvent ist noch nicht zu Ende. Im Dezember wollen wir konkretere Lösungsvorschläge vorlegen.

Als der italienische Sozialist Giuliano Amato Ihr Papier der Presse vorstellte, musste er zugeben, dass die Sozialisten aus den Kandidatenländern alles blockieren, was zu mehr Gemeinschaftlichkeit führen könnte.

Ich habe Verständnis dafür, dass die Delegierten aus den Kandidatenländern Probleme damit haben, ihre neu gewonnene Souveränität gleich wieder an Brüssel zu verlieren. Zum Beispiel, was soziale Sicherungssysteme angeht. Aber niemand bei den Sozialisten denkt ernsthaft daran, die Zuständigkeit dafür völlig nach Brüssel abzugeben.

Es waren ja keineswegs alle Ihre Parteikollegen glücklich mit diesem Papier. Wer hat denn nun gebremst?

Das ist ziemlich diffus. Nicht einmal bei den Sozialisten hier im Europäischen Parlament gibt es Einigkeit über die Frage, wie der Kommissionspräsident künftig gewählt werden soll. Einige sagen, das Parlament muss das künftig tun. Andere denken, dadurch würde die Kommission geschwächt, weil sie dann nicht mehr die Unterstützung des Rates hätte. Die Konfliktlinien gehen kreuz und quer – zwischen Belgiern und Skandinaviern, die Briten haben wieder ihre ganz eigene Position. Das französische Präsidialsystem lässt sich nicht mit dem vereinbaren, was sich die Deutschen als Rolle eines Unionspräsidenten vorstellen, nur um ein Beispiel zu nennen.

Aber solche Probleme haben die anderen politischen Familien auch. Trotzdem hat der konservative Europaabgeordente Brok einen kompletten Verfassungsentwurf vorgelegt.

Es ist nicht so schwierig, Übereinstimmung herzustellen zwischen Elmar Brok und Elmar Brok.

Dennoch haben die Konservativen nun einen Entwurf für eine Verfassung. Bietet dieser Ihrer Ansicht nach keine Antwort auf die Frage, ob Europa ein gut geölter Binnenmarkt oder eine soziale Wertegemeinschaft sein soll?

Ich bin überzeugt, dass wir das stärkste Anliegen haben. Dafür brauchen wir Unterstützung von allen politischen Gruppen. Wir werden die anderen überzeugen, dass jetzt die Weichen für mehr soziale Ausgewogenheit in Europa gestellt werden müssen.

Der deutsche Regierungsvertreter Peter Glotz hat seine Unterschrift von Ihrem Antrag zurückgezogen, in dem eine Arbeitsgruppe „Soziales Europa“ gefordert wird. Was halten Sie von der Überschrift: „Sozialisten gegen soziales Europa“?

Es ist sehr schade, dass Peter Glotz seine Unterschrift zurückgezogen hat. Aber es liegt, glaube ich, daran, dass er den Zweck und die Ziele dieser Arbeitsgruppe falsch interpretiert. Vielleicht denkt er, dass es dabei um Sozialpolitik geht. Dann hätte er natürlich Recht: Wir sollten nicht unsere Zeit damit vertun, im Rahmen des Konvents über Sozialpolitik zu reden. Von uns wird nicht erwartet, dass wir Gesetze machen, sondern dass wir eine Verfassung entwerfen. Aber er wird in der Plenardebatte sehen, dass seine Befürchtung grundlos ist. Wir werden über den Auftrag, die Ziele, die Werte, die Zuständigkeiten, die Rolle der Sozialpartner, die Rolle der Zivilgesellschaft sprechen. Das ist natürlich mit der Unionsverfassung eng verbunden. Ich denke, wir werden Peter Glotz am Ende noch ins Boot holen. INTERVIEW: DANIELA WEINGÄRTNER