Auf der Spur der Kriegsverbrechen

Kandidat Amor Masović ist das Programm seiner Partei egal. Sein Programm heißt: Wahrheit und Recht

SARAJEVO taz ■ Das rundliche Gesicht des Amor Masović zeigt wenig Regung. Gefasst und mit ruhiger Stimme spricht der Vorsitzende der „Kommission für Vermisste“ über die grausamen Begebenheiten des bosnischen Krieges. Seit zehn Jahren ist der Mittvierziger damit beschäftigt, die Spuren der Verbrechen zu sichern. Seine Mitarbeiter machen Massengräber ausfindig und untersuchen die Leichen.

19.000 Menschen sind jetzt, 7 Jahre nach Kriegsende, immer noch vermisst. Die Angehörigen 27.331 weiterer Menschen vermuten, diese seien tot, wissen aber nichts über die Umstände. 14.500 Leichen oder Skelette wurden von seiner Kommission geborgen, 8.500 davon seien bisher durch klassische Methoden identifiziert, 700 durch die DNA-Methode. „In 6.000 Fällen müssten wir diese Methode anwenden, wir haben aber nicht die Mittel, dies auch zu tun.“

Amor Masović bekommt Hilfe, so von der „Internationalen Kommission für Vermisste“ (ICMP), die aus der Stiftung des ehemaligen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Dole hervorgegangen ist. Hinzu kommen Spenden aus Holland und aus dem kleinen Island. Doch größere Staaten, wie Deutschland, Österreich, Großbritannien, Frankreich, unterstützten seine Arbeit nicht. „Wir brauchen dringend Geld. Eine DNA-Analyse kostet etwa 200 Dollar.“ Da es drei Laboratorien in Bosnien selbst gibt, „könnten wir bei entsprechender Unterstützung in einem Jahr das Schicksal der 6.000 Menschen aufklären, deren Skelette jetzt in Lagerhäusern aufbewahrt werden.“

Noch lange nicht sind alle Gräber erfasst oder gar geöffnet. 170.000 bis 220.000 Menschen sind in diesem Krieg umgekommen, der größte Teil davon wurde ermordet.

Vielleicht wollten viele Staaten der internationalen Gemeinschaft gar nicht, dass noch mehr Licht in das Dunkel der Vergangenheit kommt, vermutet Masović, der vor wenigen Wochen mit dem Andrei-Sacharow-Preis ausgezeichnet worden ist. Das macht ihn ein bisschen stolz. Und angriffslustig. „Viele Länder wollen wahrscheinlich nicht Öl ins Feuer gießen“, kritisiert er.

Er meint damit, dass die Institutionen der internationalen Gemeinschaft eine öffentliche Debatte über die Vergangenheit in Bosnien gar nicht wollen, um die serbische Seite nicht zu sehr in die Defensive zu treiben. „Aber darum geht es gar nicht. Wir dürfen die Fehler der Tito-Zeit nicht wiederholen und den Mantel des Schweigens über die Verbrechen legen. Nur die Wahrheit und das Recht führen zum Frieden“, sagt Masović. Deshalb will er im Parlament präsent sein und auf der Liste der muslimischen Nationalpartei SDA gewählt werden. Das Programm der Partei interessiert ihn nicht. Nur sein eigenes. „Wahrheit und Recht, das ist mein Programm, sonst nichts.“ ERICH RATHFELDER